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Lokale Situierung | 97
tik – typischerweise an anstehenden oder getroffenen politischen Entscheidun-
gen, die als ungerecht empfunden werden. Damit rücken Momente, „in denen
etwas infrage gestellt oder kritisiert wird“ (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 34) –
Situationen, in denen die Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft kon-
flikthaft wird –, in den Fokus.
Ein wesentliches Mittel der zivilgesellschaftlich organisierten Kultur, über
das Kritik geäußert wird, ist eine offensive Medienarbeit (Zembylas, 2011:
S. 159) in jüngerer Zeit vor allem über das Internet. Dazu bündeln lokale, regio-
nale und überregionale Kulturinitiativen ihre Ressourcen durch ihre Mitglied-
schaft in Dachverbänden. Beispielhaft ist etwa die Interessensgemeinschaft (IG)
Kultur Österreich als Dachverband von über 550 Kulturinitiativen zu nennen
(www.igkultur.at). Die zivilgesellschaftlich organisierte Kultur ist in Österreich
noch nicht systematisch untersucht worden und auch die vorliegende For-
schungsarbeit wird nur Teilaspekte abdecken können. Als sehr beträchtlich kann
jedoch das freiwillige Engagement im Kulturbereich eingeschätzt werden: Eine
Studie des NPO-Kompetenzzentrum errechnet 1.761.588 freiwillig geleistete
Arbeitsstunden wöchentlich im Kultursektor, was einem monetären Wert von
1.051.598 Euro entspricht (Simsa, 2012: S. 6). Dieses intensive ehrenamtliche
Engagement (bzw. diese unbezahlte Arbeit) bietet jedoch keinen Ersatz für öf-
fentliche Dienstleistungen. Wenn sich staatliche AkteurInnen wie die österrei-
chischen Gemeinden zunehmend auf das freiwillige Engagement bei sozialen
und kulturellen Dienstleistungen verlassen, bedürfen diese auch einer Basisfi-
nanzierung. Die Reduktion von Förderungen für Vereine und andere zivilgesell-
schaftliche Organisationen wird durch das freiwillige Engagement nur zum Teil
kompensiert. Insgesamt werden „mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Aus-
wirkungen auf den Freiwilligensektor“ erwartet (Handler, Walter, 2014: S. 49).
So kann es zur paradoxen Situation kommen, dass der Staat zwar einerseits
auf zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Integrationsleistung als Ge-
genüber in Verhandlungen angewiesen ist bzw. dies im Kontext der Kulturförde-
rung auf normativer Ebene einfordert, andererseits aber Vereine und Verbände
angesichts einer individualisierten Gesellschaft weniger Integrationskraft haben
und für ihre Arbeit immer weniger entlohnt werden. Einer normativen Aufwer-
tung (auch als Teil einer politischen Programmatik bzw. Rhetorik) unter dem
Governance-Paradigma steht somit eine ökonomische Abwertung bzw. ein ein-
seitiges und kurzfristiges Spar- bzw. Effizienzinteresse des Staats gegenüber.
Im Rahmen des Vereinsrechts und als Empfänger öffentlicher Subventionen ob-
liegen zivilgesellschaftliche Organisationen auch einer Kontrolle und staatlichen
Aufsicht. Wie Entscheidungen getroffen werden, wie Kompetenzen (etwa zwi-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293