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270 | Cultural Governance in Österreich
ebenso wie Protest und Forderung nach Reformen, wenn sie sich nicht mit den
Verfahren und politischen Entscheidungen arrangieren können bzw. möchten.
Die starke Steuerung der partizipativen Prozesse durch Politik und Verwaltung
dient der Risikominimierung bzw. der Antizipation von Kritik, ein typisches
Mittel von Machtausübung. Die Regierenden zeigen sich von Bürgerbeteili-
gungsaktionen und Protesten wie jenen des Stadtkulturbeirats gegen die Kürzun-
gen der nicht-gebundenen Subventionen in Linz „genervt“ (KBLI2). Politische
EntscheidungsträgerInnen zeigen sich mitunter ironisch, skeptisch oder kritisch
gegenüber partizipativen Prozessen (auch wenn sie diese in der Öffentlichkeit
loben), weil solche Prozesse vermutlich als Machtverlust gesehen werden und
nicht zu ihrem Amtsverständnis und ihrer wahrgenommenen Entscheidungs-
kompetenz passen. Dies spielt auf den klassischen Konflikt zwischen repräsenta-
tiver Demokratie und partizipativer bzw. deliberativer Demokratie an: Die reprä-
sentative Demokratie zielt mit dem übergeordneten Prinzip der Welt des Mark-
tes, Konkurrenz, auf Auswahl von Parteiprogramm und Personen. Durch die
Ausgliederung öffentlicher Kulturbetriebe als städtische Unternehmen und die
damit einhergehenden strukturellen Beziehungen zwischen Politik und Betrieben
bleibt eine Entpolitisierung mit gemeinwirtschaftlichen Intentionen tendenziell
im Bereich des normativen Desiderats. Die regulative Ordnung als Unternehmen
und die Legitimation, die Freiheit der Kunst über gesellschaftliche Interessen zu
stellen, verhindert die Konstitution einer Arena für eine deliberative Aushand-
lung von Entscheidungen.
Die deliberative Demokratie verfolgt hingegen wie Dewey (Dewey, 1916)
und Habermas (Habermas, 1981) darlegen, Prozesse der Meinungsbildung als
Hauptanliegen. Eine Entscheidung wird als Ausdruck eines Gemeinwillens be-
trachtet, dem ein Prozess der Bewusstwerdung und der kollektiven Reflexion vo-
rangeht (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 263). Die Würde der staatsbürgerlichen
Welt ist das Streben nach bürgerlichen Rechten und ihre aktive Realisierung.
Zum Regime der staatsbürgerlichen Welt gehört auch die Investition, das indivi-
duelle bzw. partikulare Interesse zurückzustellen (Boltanski, Thévenot, 2014:
S. 260).
Die mangelnde Bereitschaft der Politik, in öffentliche, deliberative, kooperative
politische Prozesse zu investieren, kann auch mit der Verengung von Kulturpoli-
tik auf eine Kulturförderungspolitik bzw. Allokationspolitik begründet werden,
die wenig Raum für die Diskussion der gesellschaftlichen Bedeutungen von Kul-
turpolitik in einem weiteren Kontext lässt. Die Betonung von Expertise im Kul-
turbereich, sowohl durch PolitikerInnen im Modus der Erklärenden als auch
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293