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153Kultusrecht
und Staatshandeln im Vormärz
chische Monarch würde »nicht zweckwidrig handeln«, wenn er die
katholische Religion als eine in seinen Staaten »ursprüngliche«, von
seinen »hohen Ahnen seit Jahrhunderten laut bekannte […], für die
Staats-Religion« erklärte, »und durch besondere Vorzüge« auszeich-
nete.94 Davon war aber nicht die Rede. Im selben Atemzug klagte Szé-
chényi darüber, dass die Protestanten in Ungarn gegenüber den Katho-
liken geradezu einen bevorzugten Status genossen, weil sie ja nicht dem
katholischen Kirchenregiment unterworfen waren.95 Das traf auf die
Erbländer nicht zu, hier war aber der spezielle Status der nichtkatho-
lischen Religionen innerhalb des Staatskirchenregimes nicht etwa das
Resultat einer reaktionären Wende in den 1790er Jahren, er ergab sich
vielmehr aus dem Toleranzsystem des »gekrönten Menschenfreundes«.
Die Toleranzpatente Josephs II. für die Protestanten, Orthodoxen
und Juden blieben bis 1848 die Richtschnur behördlichen Handelns.
Josephs Toleranzgesetzgebung brach mit Maria Theresias Politik der
Verfolgung, Vertreibung und Zwangskonversion, sie erlaubte nicht-
katholischen Untertanen die private Religionsausübung, die freilich
streng reglementiert blieb.96 Die Angehörigen anderer christlicher
Konfessionen hatten durch Abgaben an die katholische Ortspfarrei,
Kongrua und Stolargebühren, ihren Beitrag zur Dotation des eng-
maschigen Pfarrnetzes zu leisten, mit dem Joseph II. die Monarchie
überzogen hatte.97 Zudem erfüllten die katholischen Pfarren ähnlich
wie die Grundherrschaften zwischen den 1780er Jahren und 1848
zentrale Verwaltungsfunktionen; sie führten nicht nur die Tauf- und
94 Franz Széchényi, Vom Zeitgeist, MOL, P 626 Szechényi csálad, csomó 93,
68-69. Moritz Csáky danke ich herzlich für den Hinweis auf Széchényis
Manuskript. Über Széchényi vgl. Franz L. Fillafer, Sechs Josephiner, in: Rai-
ner Bendel, Norbert Spannenberger (Hg.), Katholische Aufklärung und Jo-
sephinismus. Religionsformen in Ostmittel- und Südosteuropa, Köln 2015,
349-389.
95 Über diese Vorzüge – Auslandsstudium, synodale Selbstverwaltung, Auto-
nomie der Kollegien und Schulen
– schreibt Széchényi, Vom Zeitgeist, 70-74.
96 Vertiefend Franz L. Fillafer, Von der aufgeklärten Kirchenvogtei zum res-
taurativen Religionsbann: Staatskirchenrecht im habsburgischen Vormärz
[im Erscheinen].
97 Gustav Frank, Das Toleranz-Patent Kaiser Joseph II. Urkundliche Ge-
schichte seiner Entstehung und seiner Folgen, Wien 1882, 30; Elemér Má-
lyusz, Iratok a türelmi rendelet történetéhez [Schriften zur Geschichte des
Toleranzpatents], Budapest 1940, 22-26, 87, 94, 132, 374, 412; Eva Kowalská,
Uhorskí protestanti a viedenský dvor. Formovanie cirkevnej politiky habs-
burského štátu pred rokom 1781 [Ungarische Protestanten und der Wiener
Hof. Formierung der Kirchenpolitik des habsburgischen Staates vor 1781],
in: HČ 50 (2002), 407-422.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513