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156 Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar
Eben diese Rechtsmeinung hat das Hofdekret vom 25. November
1791 offiziell verkündet: Jede Duldung, heißt es dort, hänge »bloß
vom Gutbefunde des Gesetzgebers« ab, »so sei es auch unthunlich,
daß dieses Toleranzgesetz als ein immerwährendes Constitutionsmä-
ßiges Gesetz angenommen werden könnte«.106 Das ABGB von 1811
bestimmte in § 39, dass die »Verschiedenheit der Religion« auf »die Pri-
vatrechte keinen Einfluß« habe, »außer insofern dieses bei einigen Ge-
genständen durch die Gesetze insbesondere angeordnet ist«, während
die Bundesakte des Deutschen Bundes feststellte, dass die »Verschie-
denheit der christlichen Religionen« in den »Ländern des deutschen
Bundes keinen Unterschied in der Wahrnehmung der bürgerlichen
und politischen Rechte begründen« dürfe.107
Schon um 1800 wurde Joseph II. gegen seine freisinnigen Lob-
redner in Schutz genommen, so etwa in der Wiener Theologischen
Zeitschrift Jakob Frints. Joseph II., heißt es da 1813, habe keinesfalls
bezweckt, die Grenzen zwischen bürgerlicher und religiöser Toleranz
aufzuweichen. Das sei dem persönlich frommen Kaiser ferngelegen,
nur die deistischen Lehrbücher, die seit den 1780er Jahren von der
Studienhofkommission vorgeschrieben wurden, konnten derlei irrige
Auslegungen in Umlauf bringen.108 Die Toleranz, so hieß es 1813 in
Frints Zeitschrift, diene dem »Staatszweck«, nämlich der Glückselig-
keit in Form des geordneten und einträchtigen bürgerlichen Lebens,
Böheim bey dem zu Prag im J. Ch. 1790 gehaltenen Landtage in Vorschlag
gebracht hat. Begleitet mit Anmerkungen von einem Ungenannten. Nebst
einem Pendant im J. Ch. 1791, Helmstädt 1791; [Anonym,] Kontrast zwi-
schen den Grundsätzen des Prälatenstandes in Böhmen und jenen der auf
Veranlassung Kaiser Leopolds II. als Großherzog von Toskana im Jahre
1786 gehaltenen Diözesansynode zu Pistoia, Frankfurt; Leipzig 1791.
106 Karl Kuzmány, Urkundenbuch zum österreichisch-evangelischen Kirchen-
recht, Wien 1855, 105.
107 Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichs-
verfassung in Mittelalter und Neuzeit, Bd. 2 /2, 2. Aufl., Tübingen 1913,
Nr. 218, 540-541.
108 Ignaz Schumann von Mansegg, Ueber die Grenze zwischen Toleranz und
Indifferentismus, 260-261. Manche von Josephs Anhängern scheinen fälsch-
licherweise zu glauben, »[…] daß auch diejenigen, welche die Toleranz
einführten, von diesen Grundsätzen ausgegangen seyen, als sey das Positive
in der Religion ohnehin grundlos«. Ebda. 253 über die Lehrbücher, vgl.
weiters Joseph Pletz, Anrede bey dem Uebertritte eines gebildeten Protes-
tanten zur katholischen Kirche, WTZ (1822) 10 /1, 344-362; Max Millauer,
Vorschlag zu einem Einsegnungs-Ritus jüdisch gewesener neugetaufter
römisch-katholischer Eheleute, WTZ (1826) 13 /2, 107-132.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513