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eine Bastion gegen Aufklärung und Revolution errichtet, die gesell-
schaftliche Trägerschicht dieser Ideen, das liberale Bürgertum, wurde
von Behörden und Kirche gewaltsam unterdrückt, bis es im Jahr 1848
das alte Regime stürzte. Dieses Epochenbild bedarf einer gründlichen
Überarbeitung: Die in den 1790er Jahren beschworene Allianz von
Thron und Altar, das Bündnis von weltlicher und geistlicher Gewalt,
war mehr Traum als Wirklichkeit, die Kirche blieb eine vom Staat
beaufsichtigte und finanzierte Seelsorgeagentur, als tröstender Ersatz
diente dem restaurativen Klerus die normative Wunschvergangenheit
der verklärten maria-theresianischen Zeit. Hier bastelte die restaura-
tive Geistlichkeit an einem sozialpolitisch aufgeladenen Idealbild der
Barockfrömmigkeit; Kirchenzucht und Loyalität sollten im Zeitalter
der Französischen Revolution Patriotismus und Gehorsam der Bevöl-
kerung garantieren.
Die Aufklärung hatte eine Individualisierung und Moralisierung
des Glaubens eingeleitet, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen
war, die Staatskirche begleitete diesen Prozess als quasibehördliche
Anstalt. Als die Drahtzieher der Restauration, Bischöfe, Mäzene und
Beamte, in den 1790er Jahren für die Kirche als Stütze des Throns
warben, behaupteten sie, die Religion schütze das Privateigentum und
fördere das »allgemeine Beste«. Erst im frühen 19. Jahrhundert nahm
der restaurative Klerus eine Selbstprovinzialisierung und Selbstorien-
talisierung des Katholizismus vor, indem er das josephinische Erbe im
idealen Diskurs abstieß, ohne es in der realen Praxis zu verwerfen. So
wurde der Verlauf der Wissensgeschichte von der politischen Selbst-
stilisierung abgekoppelt. Nun verlegte die restaurative Geistlichkeit
die Ursprünge der Aufklärung zunehmend in die Reformation, damit
übernahm sie das polemische Katholizismus-Klischee der Kulturpro-
testanten à la Friedrich Nicolai und machte es zum Autostereotyp.
Diese Verquickung von Protestantismus und Aufklärung fungierte als
Historisierungs-Prophylaxe: Sie erleichterte es dem restaurativen Kle-
rus, aufklärerische Argumente und gelehrte Verfahren beizubehalten,
während er die Aufklärung politisch bekämpfte.
Die religiöse Aufklärung bildete den Schnittpunkt zweier Konflikt-
felder innerhalb der Restauration, der erste Zankapfel war das Ver-
hältnis von Aufklärung und Revolution: Auf gesamtstaatlicher Ebene
strebten einige restaurative Geistliche ja eine Renaissance ritualisierter
Frömmigkeit, der Wallfahrten, des Erntesegens und Wetterläutens, der
Prozessionen und Bruderschaften an, dabei hielten ihnen die Spätauf-
klärer im Klerus entgegen, dass diese Form des Glaubens die Religion
zum Spektakel, zum Gaukelspiel herabwürdige, zudem stelle sie ein
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513