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371Die
Politik des Metapolitischen
sich Unbefugte vom Kodifikationsprozess fernhalten, weil es ja nur
die fachkundigen Juristen verstanden, Normbestände verschiedener
Herkunft ohne Übertragungsverluste ineinander umzumünzen und
sie auf ihre Quelle, die »allgemeine Gerechtigkeit«, zurückzuführen.
Durch diese Erkenntnisordnung wurde die Wissenschaftlichkeit der
juristischen Gesetzgebungstechnik an eine formal stringente Praxis
des Objektivierens geknüpft: Hinter der vordergründig neutralen
Gegenstandskonstitution im Zeichen der »allgemeinen Gerechtigkeit«
verbargen sich die Prinzipien eines liberalen Privatrechts. Diese Form
der Objektivierung ist nach außen hin streng wissenschaftlich, von
Moral- und Wohlfahrtserwägungen geschieden. 1809 schrieb Franz
von Egger im Geleitwort zu seiner Neufassung von Martinis Positiones
de jure civitatis, eine Bearbeitung dieser Vorlage sei überhaupt nur des-
halb infrage gekommen, weil hier »die Vermischung der Moral mit der
Rechtslehre« weniger eklatant sei als in Martinis unbrauchbar gewor-
denem älteren Privatrecht, das Zeillers einschlägiges Werk mittlerweile
ersetzt habe.133 Die »allgemeinen Grundsätze«, auf die das Naturrecht
und das Römische Recht rekurrierten, wurden postuliert, aber eben
nicht durch »motivierende Aussprüche« oder Grundrechte mitkodi-
fiziert: So bildeten diese Grundsätze eine höherstufige, vermeintlich
neutrale Referenzebene, aus der sich verschiedene Überlieferungsrei-
hen ableiten ließen, deren Figuren als Bestandteile derselben überge-
ordneten Normgattung »übersetzbar« gehalten wurden. Diese Kon-
vertibilität der Rechtsfiguren im Kodifikationsprozess eröffnete einen
willkommenen Gestaltungsspielraum für schöpferische Lösungen.
In seinen Jährlichen Beyträgen zur Gesetzeskunde und Rechtswis-
senschaft in den Österreichischen Erbstaaten beleuchtete Zeiller die
Bedeutung der Kodifikationsgeschichte für die Integration der Erb-
länder. Das freiheitliche Privatrecht sollte als »allgemeines« Recht für
eine Monarchie gelten, »welche schon durch lange Zeit ihre Provinzen
zu verähnlichen bemüht war«134, als stabiles Ensemble bürgerlicher
gen], mit dem man die Übereinstimmung einer Norm mit zeitgenössischen
Rechtsvorstellungen überprüfte.« Ebda., 228.
133 Franz von Egger, Das natürliche öffentliche Recht nach den Lehrsätzen
des Freiherrn von Martini vom Staatsrecht mit beständiger Rücksicht auf
das natürliche Privatrecht des k. k. Hofrates von Zeiller, 2 Bde., Wien 1809-
1810, Bd. I, V.
134 Franz von Zeiller, [Rez. v.] Code Civil des Français, contenant la série des
loix qui le composent, avec leurs motifs, Paris, an XII, in: ders., Jährlicher
Beytrag zur Gesetzeskunde und Rechtswissenschaft in den Österreichi-
schen Erbstaaten, Bd. I, Wien 1806, 252-270, 257.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513