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385Naturrechtskodifikation
und Gesetzesexegese
einer noch kaum entwirrten Gemengelage verschiedener Rechtssätze
»unterschiedlichster Herkunft und Qualität«177 vereinigen. Der Struk-
tur nach ist es als modifiziertes Institutionensystem nach dem Gaius-
Schema gegliedert, mit Hauptstücken zum Personenrecht (inklusive
des Familienrechts) und zum Sachenrecht als Vermögensprivatrecht.
Letzterem liegt der weite Sachenbegriff des usus modernus, vermittelt
über Wolff und Martini, zugrunde,178 das sachenrechtliche Hauptstück
umfasst auch unkörperliche Sachen wie die Obligationen. Ebenso dem
usus modernus verpflichtet ist der weite Begriff des Rechtsbesitzes
(§§ 311-313): Gegenstand sind alle Vermögensrechte, dingliche wie
obligatorische, sofern sie eine dauerhafte Ausübung erlauben, Status-
und Familienrechte sind nicht besitzbar.179 Im Bereich des gutgläubi-
gen Eigentumserwerbs Nichtberechtigter an beweglichen Sachen hatte
der Entwurf von Martini, einem Anhänger des Vindikationsprinzips,
gegen die Parömie »Hand-wahre-Hand« die Fahrnisverfolgung weiter
gefasst, schließlich wurde der gutgläubige Erwerb auf jene drei Fälle
beschränkt, die sich im § 367 des ABGB finden.180
Die Naturrechtslehre vertrat prinzipiell die unbeschränkte Verfü-
gungsbefugnis des Eigentümers und die sich daraus speisende Erb-
vertragsfreiheit, sie prägte den Entwurf Martinis und den revidierten
Entwurf. Von dieser Option wich die Gesetzgebungskommission im
Zuge der Superrevision des endgültigen ABGB (§§ 602, 1249) wieder
ab, hier wurden schließlich lediglich Erbverträge zwischen Ehegat-
ten als zulässig deklariert, womit man wieder in die Bahn des älteren
gemeinen Rechts einschwenkte. Die Endfassung des ABGB löste sich
von den Nominat- und Innominatkontrakten des Codex Theresianus,181
stattdessen wurde einem allgemeinen Vertragsbegriff und einer nume-
rus clausus-losen materiellen Vertragsfreiheit der Vorzug gegeben.182
Naturrechts auf den Usus modernus. Eine Untersuchung anhand der Lite-
ratur zum geltenden Recht im 17. und 18.
Jahrhundert, Köln 1996.
177 Gerhard Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., München 1990, 179.
178 Martini, De lege naturali positiones, Vindobonae 1767, § 149.
179 Wesener, Zur Verflechtung, 479.
180 Bernhard Huwiler, Vindikationsprinzip versus Hand wahre Hand. Dog-
mengeschichtliches zur Rechtfertigung des gutgläubigen Eigentumserwerbs,
in: Clausdieter Schott, Claudio Soliva (Hg.), Nit anders denn liebs und
guets. Petershauser Kolloquium aus Anlaß des 80. Geburstags von K. S. Ba-
der, Sigmaringen 1986, 75-100, 94-96.
181 Hans Charmatz, Zur Geschichte und Konstruktion der Vertragstypen im
Schuldrecht, Brünn 1937, 36.
182 Wesener, Naturrechtliche und römisch-gemeinrechtliche Elemente, 118.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513