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426 Naturrechtspraxis und Empire-Genese
seiner Universitätsreform Einhalt gebieten. Joseph Unger verstand es
seinerseits, sich als Garant der ersehnten antirationalistischen und an-
tirevolutionären Wende in der österreichischen Rechtswissenschaft zu
positionieren. Darüber, wie das vonstatten ging, geben die kleineren
Schriften Ungers Aufschluss.
Hier fällt vor allem eine Rezension ins Auge, die Unger 1851 über
Leopold Hasners Philosophie des Rechts und seiner Geschichte in
Grundlinien veröffentlichte. Der dreiundzwanzigjährige Unger schlug
sich damals als Amanuensis der Universitätsbibliothek durch.305 Un-
gers junghegelianisch angelegte Dissertation Die Ehe in welthistori-
scher Betrachtung hatte die Auflösbarkeit des Ehebandes verteidigt,
nun widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft und ver-
schlang Savignys System des heutigen römischen Rechts.
Mit seinem Essay über Hasners Rechtsphilosophie leistet Unger
vordergründig Abbitte für den Junghegelianismus, er ist also eine Ta-
lentprobe, die Leo Thun-Hohenstein und seinen Beratern die Gewiss-
heit gab, dass die Förderung des jungen Unger keine Fehlinvestition
war. Hasner, dessen Buch Unger 1851 besprach, war wie er selbst
ein Junghegelianer der ersten Stunde. Unger lenkte nun in seiner Re-
zension geschickt die junghegelianische Naturrechtskritik auf neue
Mühlen, er nützte sie für seine eigene postrevolutionäre Exkulpation.
Damit diskreditierte er das Vernunftrecht des Vormärz und die Ver-
fassungsdoktrinen der Revolution von 1848:
So ward […] in der wichtigsten Lehre, von der Entstehung des
Staates, die antiquirte Vertragstheorie – welche weder den idealen
noch den positiven Staat zu begründen vermag, und bei dieser Un-
fähigkeit in ihrem ersten praktischen Versuche in Österreich eine
lebendige Staatswirklichkeit zu schaffen, scheitern mußte – als die
allein vernünftige zu Grunde gelegt, von ihrer Gefügigkeit aber zur
Begründung sowohl Hobbes’scher Autocratie als Rousseau’scher
Pancratien der für die gegebenen Verhältnisse allein entsprechende
Gebrauch gemacht.306
305 Vgl. Bernhard Martin Scherl, Einleitung, in: Joseph Unger, Aufsätze und
kleine Monographien, I, Hildesheim; Zürich 2005, 7-85, 15-16; Frankfur-
ter, Joseph Unger, 54; Heinrich Reschauer, Moritz Smets, Das Jahr 1848 –
Geschichte der Wiener Revolution, Bd. II, Wien 1872, 324-327, 402-406.
306 Joseph Unger, [Rez. v.] Leopold von Hasner, Philosophie des Rechts und
seiner Geschichte in Grundlinien, Prag, 1851, in: MRS 4 (1851), 408-417,
408-409.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513