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470 Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr
für Grundentlastung, Rechtsgleichheit und Gewissensfreiheit ein, all
das freilich von einem starken aufgeklärten Monarchen garantiert,
der auch über die Landeskirche gebietet.51 Über das Gottesgnaden-
tum macht sich Kübeck keine Illusionen: Es sei ein Scheinsäkularisat
der göttlichen Herrschaft über den Kosmos, der gubernatio dei. Hier
wurde, wie Kübeck fein beobachtet, ein in den Naturwissenschaften
bereits gestürztes Weltbild als Repräsentationsmodell der sozialen
Welt fortgeführt. Mit der klassischen Mechanik müsse an die Stelle
dieses obsoleten Weltverständnisses die Selbstbindung Gottes und da-
mit auch des Monarchen an seine eigenen Gesetze treten.52
Wie sein Zeit- und Standesgenosse Carl Joseph von Pratobevera,
der Sohn eines schlesischen Gewürzkrämers, der uns schon als Ver-
teidiger der Gewaltenteilung begegnet ist,53 lässt sich auch Kübeck
den staatsrechtlich herausgehobenen Fürsten an der Spitze des Ge-
meinwesens nicht »wegdisputieren.«54 Napoleon bewundern Kübeck
und Pratobevera insgeheim,55 auch in den 1830er und 1840er Jahren
beharren die alten Josephiner darauf, dass ein aufgeklärter Monarch, in
privatrechtlicher Hinsicht Gleicher unter Gleichen, keiner »geschrie-
benen Charte«, keines Verfassungswerks bedürfe, um Gutes zu tun.56
51 »Gott ist höchst wahrhaftig und treu. Er kann nicht irren und nicht betrü-
gen. Seine Priester thun es um so öfter.« Ebda., 66 (30. Jänner 1801).
52 Ebda., 138 (1805). Zur Newtonrezeption und ihren politischen Valenzen vgl.
Kap. II.7 und IV.4.
53 Vgl. Kap. VI/7.
54 Kübeck, Tagebücher, I/1, 93-94 (November 1802), weiters I/1, 140-141,
252-53: »Der Monarch aber, den ich mir nicht wegdisputieren lasse, ist mir
unentbehrlich. Er vermittelt alle Gewalten, indem er sie in sich vereinigt,« er
ist der »bindende Vereinigungs=Punkt, die Seele des kollektiven Menschen
[…] Die Seele ist zwar nun an die Organe gebunden, aber sie muß sie Alle be-
herrschen. Mein Monarch muß daher kräftig gestellt werden, und ich möchte
ihm lieber zu viel als zu wenig Macht gewähren.«, Kübeck, Tagebücher, I/1,
140-141, (1805). »Der beste Vertrag scheint mir, ist der Gehorsam des Volkes
und das Pflichtgefühl des Regenten; der größte Schutz ist die Öffentlich-
keit«, ebda. 139-140.
55 Über Napoleon schreibt Kübeck: »Er ist einer von den Gesandten der Vor-
sehung […] Er ist der Anker einer neuen Formationsperiode des gesellschaft-
lichen Zustandes der Humanität, indem er festhält und gestaltet, was sich
sonst zerstreut oder aufgerieben hätte«, Kübeck, Tagebücher, I/1, 155 (1805).
56 Pratobevera notierte in seinen autobiografischen Skizzen, die er als Erinne-
rung für seine Kinder in den 1840er Jahren zu Papier brachte: »Nimmermehr
hätte ich aber mich entschließen können, mit Zurückhaltung über Mißbräu-
che und die Nothwendigkeit von Reformen zu sprechen; ich bin allerdings
der Meinung, daß man auch ohne geschriebene Charten, ohne Repräsenta-
tion in einer oder zwey Kammern die Völker gut regieren kann; aber man
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513