Page - 165 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

165 Mai 1872 5 10 15 20 25 30 wollen wir abwarten“] Auf dem Programm der Franchetti-Operngesellschaft standen außerdem Verdis Il trovatore und La traviata, Donizettis Lucia di Lammermoor, Rossinis Otello und Mosè in Egitto. Zur Otello-Aufführung → Nr. 41. ◼ 115f. formare, fermare, finire] it.  „bilden, fest- halten, endigen“ – Gesangsweisheit der sogenannten „drei F“, die sich sowohl auf die Bildung des Einzeltones wie auch auf den Vortrag eines ganzen Gesangsstücks bezieht. 38. WZ 1872, Nr. 108, 12. Mai Feuilleton. Richard Wagner. Von A. W. Ambros. I. Man pflegt von einer Goethe-Litteratur zu reden, fast eben so gut könnte man von einer Wagner-Litteratur sprechen, zu welcher übrigens Richard Wagner selbst durch seine theoretisch-ästhetischen und polemischen Schriften über Musik einen nicht eben unbedeutenden Beitrag geliefert oder vielmehr den Kern- und Mittel- punkt gegeben hat, um den das Uebrige gleichsam krystallisirend anschoß. Wollte man vollends Alles in ein Buch zusammentragen, was in der Journalistik für und gegen Wagner an Notizen, Correspondenzen, Kritiken und Antikritiken, musika- lischen Leitartikeln und durch Wagners musikalische Principien angeregten klei- nen Abhandlungen in die Oeffentlichkeit getreten, so gäbe das alles zusammen ein vielbändiges Werk. Und während erst dann, als der große Dichter des „Faust“ zu den Unsterblichen entrückt war, jene Goethe-Litteratur die Bücherschränke zu füllen begann, Düntzer, Boas u. a. ihr Commentatoren- und Exegeten-Geschäft anfingen und die Königsbauten längst in voller Pracht dastanden, als die Kärrner mit ihren Karren herangejagt waren und „zu thun hatten“, hatte Wagner das Ver- gnügen (gelegentlich wohl auch den Verdruß), alles ihn Betreffende selbst lesen zu können, vorausgesetzt, daß er die Muße dazu findet. Während sonst die Künstler ihr Werk einfach, wie es ihnen der Geist eingab, für die Gegenwart, für ihre Zeit- genossen schufen und lange nach Dante Landino, nach Raphael Passavant, nach Palestrina Baini kam, wird uns Söhnen der Neuzeit das musikalische Kunstwerk, das denn am Ende doch auch für uns da ist und das wir thatsächlich zu hören bekommen, als „Kunst der Zukunft“ entgegengehalten, gleich als seien wir gar nicht würdig, ja gar nicht fähig, dergleichen zu fassen, und müsse Gott erst eine neue, bessere Generation von Zukunftsmenschen schaffen, die groß genug ist, an das Zukunfts-Kunstwerk hinanzureichen, dafür kommen die Gegenwarts-Kriti- ker und Gegenwarts-Commentatoren (seltener wie „Boten mit lieblichem Schritte, die den Frieden verkündigen“ als wie Wuotans wildes Heer) in hellen Haufen he- ran und thürmen vor uns eine Pyramide von Büchern für, gegen und über Wagner auf, mit der Zumuthung, das alles lesen zu sollen. Das ist in der That ein Stück- chen aus der verkehrten Welt. Doch in einer solchen, scheint es, leben wir und der Hexenspruch aus Macbeth wird Wahrheit; – wir haben uns, vorab durch die