Page - 352 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

352 Dezember 1872 5 10 15 20 25 30 35 40 91. WZ 1872, Nr. 296, 25. Dezember Feuilleton. Musikalische Revue. (Der Pianist Marek. – Concert des Orchestervereins. – Becker’sches und Hellmesberger’sches Quartett. – Der Cäcilien-Verein.) Von A. W. Ambros. Gesetzt auch, es fehle uns an dem und jenem, was etwa noch nöthig wäre, um Candide’s „beste Welt“, ohne daß etwas zu wünschen bliebe, zu verwirklichen: an musikalischen Genüssen wenigstens fehlt es uns nicht; ja es ist die Frage, ob wir in dieser Beziehung nicht schon so ziemlich auf dem Standpunkt der Einwohner von Gullivers Laputa stehen. Insbesondere taucht am pianistischen Himmel ein Stern nach dem anderen auf, – die stets neuen, endlosen Asteroiden, welche von den Astronomen jetzt, da diese Herren schon anfangen um Götternamen verlegen zu sein, wie Fiakerwägen numerirt werden, kommen dagegen gar nicht in Betracht. Kaum hat uns Fräulein Ida Bloch verlassen (glückliche Reise!), tritt uns ein ande- rer Descendent der Liszt’schen Schule entgegen, Herr Louis Marek, den wir aber willkommen heißen, da wir in ihm einen Künstler von bedeutendem Talent und bedeutender Ausbildung anzuerkennen haben. Wer es wagen darf, sein erstes De- but mit Beethovens letzter Sonate zu eröffnen und mit Liszts zwölfter ungarischer Rhapsodie zu schließen, und vorzüglich besteht, hat sich damit selbst das beste Zeugniß gegeben und bedarf keines weiteren. Der Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde veranstaltete unter der Leitung seines artistischen Directors Herrn Friedrich Heßler ein nicht langes Concert (nur vier Programmnummern) und zwar ein sehr angenehmes. Erwägt man, was für heterogene Kräfte sich hier im Orchester zusammenfanden, so muß- te die Aufführung eine überraschend gute, stellenweise selbst eine recht feine hei- ßen. Die Bläser des k. k. Hofoperntheaters sind allerdings eine Phalanx, auf welche sich der musikalische Heerführer verlassen kann, und an der Spitze der Geiger stand als „Violinista Promachos“ einer der tüchtigsten jüngeren Künstler Wiens, Herr Junck, der uns, beiläufig gesagt, neulich in einem anderen Concerte mit dem Vortrag der lieblichen F-dur-Sonate Beethovens wahrhaft entzückt haben würde, hätte ihm seine Partnerin am Piano die Sache nicht so gründlich verdorben, wel- che unter anderen seltsamen Gaben auch die eines tempo rubato wahrnehmen ließ, wie es uns bisher noch nicht vorgekommen: die Tacte hatten zwar die gehörige Länge, aber innerhalb derselben vertheilte die Dame das Material wie eine Con- cursmasse. Die Heimsuchungen, welche wir in letzter Zeit durch einige pianospie- lende Fräulein erfahren, welche, statt ihr Talent am häuslichen Klavier von Ohei- men, Basen u. s. w. bewundern zu lassen, ihr Licht durchaus vor der Welt leuchten lassen wollten, haben uns in der That etwas mißtrauisch gemacht. So eine Liszt’sche oder Chopin’sche Polonaise ist nicht wie das Einhorn der mittelalterlichen Natur- geschichte, welches einer Jungfrau gegenüber seine unbezähmbare Wildheit ab- legt, sanfter wird als ein Lamm und ihr wie ein Lämmchen folgt. Es ist peinlich,