Page - 544 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

544 Dezember 1873 5 10 15 20 25 30 35 40 133. WA 1873, Nr. 277, 2. Dezember Feuilleton. Musik. Frau Essipoff. Hellmesbergers zweiter Quartettabend. Die Philharmoniker. „Sie sind ein wahres Ikositetraeder!“ würde vielleicht ein galanter Mathematiker – gäbe es dergleichen – zu Frau Essipoff sagen. Der Mathematiker würde damit sagen wollen, daß man an ihrem pianistischen Talent immer neue Seiten entdeckt – zum Beispiel, daß sie, die wir als Concertspielerin ersten Ranges kennen gelernt, sich durch den Vortrag des Klavierpartes des Schumann’schen Es-dur-Quartettes bei Hellmesberger als eben so eminent für Kammermusik erwies. Ich erinnere mich, vor Jahren dasselbe Quartett als „Novität“ durch Clara Schumann kennen gelernt zu haben, und muß Frau Essipoff das Zeugniß geben, daß das seitdem oft gehörte Tonwerk erst wieder unter ihren Händen völlig und bis ins Einzelne die Färbung annahm, die es bei Clara’s Vortrag desselben hatte; eine Färbung, welche sicher als die „authentische“ gelten kann, denn die Schumann konnte es wissen! Vor Allem hebe ich den zweiten Satz, das herrliche, originelle G-moll-Scherzo her- vor, dessen Staccato so leicht unter minder elastischen oder allzu energischen Fin- gern hart und spitzig wird, hier und bei Clara aber klang, als – man erlaube mir das Bild – als tupfe man mit leichten Fingerspitzen auf Sammt. Die Composition selbst hat uns wieder innigst erfreut – durch sie und ihren Pendant, das Klavier- quintett in Es, schrieb sich einst Schumann seinen musikalischen Meisterbrief – der geniale, unruhige Phantast, der bis dahin Poesie und Musik in einander ge- mengt hatte und in Tönen sagen wollte, was nur das ausdrückliche Wort zu sagen vermöchte, legitimirt sich hier zum ersten Male und gleich auf’s glänzendste als Musiker von echtem Schrot und Korn. Es war aber nicht die Mitwirkung der Frau Essipoff allein, welche dem Hell- mesberger’schen Quartettabend diesmal ganz besonderen Glanz verlieh – ein sehr glücklicher Stern leuchtete über Allem. Gleich das schöne G-moll-Quartett von Volckmann, welches den Anfang machte, fand die vortrefflichste Aufführung und wärmsten Beifall der Zuhörer, welche diesmal den Saal fast überfüllten. Sehr angenehm war die Ueberraschung, als bei dem fortdauernden Applaus Hellmes- berger aus dem rückwärtigen Raum des Saales plötzlich den Componisten vor- führte, dessen unerwartetes Erscheinen dem Publico Gelegenheit zu einer wahr- haft herzlichen Begrüßung desselben gab. Volckmann möge in dieser lebhaften Zustimmung Lohn für manche Verkennung, so manche erlittene Zurücksetzung finden. Es geht mit ihm, wie es mit Robert Franz gegangen. Die Welt fängt etwas spät, aber dafür lebhaft und aufrichtig zu empfinden an, was sie an diesen Män- nern besitzt. Gelegentlich wird sich doch irgend ein Berufener daran machen müs- sen, uns über Volckmanns Werke, Werth und Bedeutung eine Monographie zu geben, wie sie uns Liszts geniale Schriftstellerfeder über Robert Franz gegeben hat. Ueber Mozarts Quintett, welches den Abend schloß, ist gar nichts zu sagen, – hat man vom ideal Schönen gesagt, es sei ideal schön, so ist’s gut und genug.