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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlands
und Österreichs aus US-amerikanischer Sicht
Abgesehen von persönlichen Kontakten der Auswanderer zu ihrer Heimat , hielt sich das
Interesse der vereinigten „Amerikaner“ an Deutschland , nicht zuletzt wohl auch aufgrund
der kaum existierenden politischen Reibeflächen , nicht nur politisch in engen Grenzen.
Die mit dem Wiener Kongress 1814 zementierte neoabsolutistische Reaktion in Europa
sowie die folgenden ersten interventionistischen Expansionsansätze der „Heiligen Allianz“
bestätigten den Vereinigten Staaten das Bild einer auf sozialer und politischer Unfreiheit
und Unterdrückung gegründeten Gesellschaftsordnung auf dem alten Kontinent – wie
umgekehrt die USA mit ihrer auf revolutionärem Wege erlangten Souveränität aus euro-
päischer Sicht ein Faktotum mit andauernder politischer Brisanz darstellten.214 Dies auch
deshalb , weil die wirtschaftlichen Handelsbeziehungen zwischen Amerika und den euro-
päischen Ländern sukzessive ausgebaut wurden.
Nach der aus der Distanz mit Interesse verfolgten , aus amerikanischer Sicht jedoch
letztlich enttäuschend verlaufenen 1848er-Revolution , änderte sich das entspannt-unge-
trübte Verhältnis zu den im Sezessionskrieg neutral gebliebenen protestantischen Ho-
henzollern erst mit der Niederlage des ehemals verbündeten freiheitlich-republikanischen
Frankreich durch das autokratische Preußen 1870 / 71 , aber auch die nachfolgende Reichsei-
nigung 1871 , wodurch Deutschland formal erstmals als eigenständiger Nationalstaat auf der
politischen Großwetterkarte auftauchte. Dabei wurde die Einigung von amerikanischer
Seite zunächst durchaus begrüßt.215
Innerhalb der Vereinigten Staaten hatte sich als quasi erste Imago der „Deutschen“ zu-
nächst das Bild der als arbeitseifrig , integrationsfähig und sparsam charakterisierten deut-
schen Einwanderer aus der Pfalz verfestigt
– der „Pennsylvania Dutch“, auf deren Land vor
214 So schrieb Kanzler Metternich 1824 an den russischen Außenminister Karl Robert v. Nesselrode : „These
United States of America , which we have seen arise and grow , and which during their short youth al-
ready meditated projects which they dared not then avow , have suddenly left a sphere too narrow for their
ambition , and have astonished Europe by a new act of revolt , more unprovoked , fully as audacious , and
no less dangerous than the former. They have distinctly and clearly announced their intentions to set not
only power against power , but to express it more exactly , altar against altar [ … ]. In permitting themselves
to these unprovoked attacks , in fostering revolutions wherever they show themselves [ … ] they lend new
strength to the apostles of sedition , and reanimate the courage of every conspirator.“ Zit. nach : Spaulding ,
Quiet Invaders , a. a. O., 42 f.
215 Immerhin hatte US-Präsident Ulysses S. Grant in einer Rede am 7. Februar 1871 noch Hoffnungen auf
eine friedvolle Adaption der amerikanische Verfassung im Deutschen Reich geäußert , indem er meinte :
„The adoption , in Europe of the American system of Union , under the control and direction of a free peo-
ple , educated to self restraint , cannot fail to extend popular institutions , and to enlarge the peaceful influ-
ence of American ideas.“ Zit. nach : Daniel , A Brief Time to Discuss America. Der Ausbruch des Ersten
Weltkriegs im Urteil amerikanischer Politiker und Intellektueller , a. a. O., 161.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741