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4. „The democratic way of life in Austria“
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In einer Hinsicht unterschied sich die Situation an den Universitäten und Hochschulen
jedoch von anderen gesellschaftlichen Bereichen : auf den „Tisch gehauen“ wurde hier –
nie. Wie wenig effizient die Arbeit der Sonderkommissionen verlaufen sein muss , lässt
sich unter anderem indirekt daraus ersehen , dass es mit der Intensivierung der „Säube-
rungen“ Anfang 1946 zum Beispiel an der Universität Wien zu „immer heftiger werden-
den Angriffe[ n ]“ auf diese Gremien kam , sodass die den „Sondersenaten“ zugewiesen
Behördenvertreter schließlich beim Rektor vorstellig wurden und mitteilten , „ihr Amt
nur dann weiterführen zu können , wenn der Herr Bundesminister diesen Wunsch äu-
ßert und ihnen damit zu erkennen gibt , dass er in die Art ihrer Amtsführung Vertrauen
setzt“1472
– so Rektor Ludwig Adamovich am 14. Jänner 1946 in einem Brief an Sektions-
chef Skrbensky.
Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien
An der Universität Wien , deren Hauptgebäude durch 23 Bombentreffer an elf Stellen
schwer beschädigt war
– elf Prozent der gesamten Bodenfläche und 65 Prozent der Dach-
eindeckung waren zerstört1473 – traten die „aufbauwilligen Kräfte des Lehrkörpers“ be-
reits ab Mitte April 1945 zu täglichen Beratungen zusammen. Die erste dieser Sitzun-
gen – eine vom Judaistikassistenten Kurt Schubert1474 „einberufene“ und von Wilhelm
Czermak in seinem Institut geleitete „Professorenkonferenz“1475
– fand am 15. April 1945
in den Räumlichkeiten des Institutes für Ägyptologie und Afrikanistik in der Frankgasse
1 im 9. Wiener Gemeindebezirk statt , eine Adresse auf „zumindest mittelbar »arisiertem«
1472 ÖSTA / AdR , Bestand 02 , BMfU , 2C1 – Disziplinarkammern , Sonderkommissionen , 1945–1958 , Ktn.
378 , Zl. 1000–46 , Rektor der Universität Wien an Sektionschef Skrbensky im Bundesministerium für
Unterricht , 14. Jänner 1946 , 1.
1473 Universität Wien. Bericht über den Studienbetrieb , a. a. O., 75 ( Anlage I ).
1474 Kurt Schubert ( 1923–2007 ), Schüler des Orientalisten und Dekans der geisteswissenchaftlichen Fakul-
tät in der NS-Zeit , Viktor Christian , bei dem er noch kurz vor Kriegsende im März 1945 am Institut
für Altorientalische Philologie zu einem assyrologischem Thema promoviert hatte. Nach Kriegsende ar-
beitete Schubert im „Displaced Persons-Camp Alserbachstraße“, wo er laut Dirk Rupnow „seine Kennt-
nisse der modernen hebräischen Sprache und der talmudischen Literatur bei Rabbinern“ erwarb. Vgl.
dazu : Dirk Rupnow , Brüche und Kontinuitäten. Von der NS-Judenverfolgung zur Nachkriegsjudaistik.
In : Ash / Nieß / Pils ( Hrsg. ), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus , a. a. O., 9 ff bzw. 104. Schu-
bert zählt zur Gruppe der illegalen Widerstandsbewegung der Katholischen Hochschuljugend rund um
den Geistlichen Karl Strobl. Nach dem Krieg wurde Schubert 1956 ao. Professor und schließlich Or-
dinarius und Vorstand des 1966 eingerichteten Institutes für Judaistik der Universität Wien. Vgl. dazu :
Karl Strobl , Gruppe Calvarienberg – Wien XVII. In : Siegwald Ganglmair ( Red. ), Jahrbuch 1995. Do-
kumentationsarchiv des österreichischen Widerstands , Wien 1995 , 124–137.
1475 Vgl. Eszter Bokor , Kurt Schubert : „Unser Haus für das neue Österreich , 2. Mai 2005. Download unter :
http://www.dieuniversitaet-online.at/dossiers/beitrag/news/kurt-schubert-unser-haus-fur-das-neue-
osterreich/258.html [ Zugriff 11. 5. 2013 ].
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741