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Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte
Mann 1939 aus dem Bostoner Exil : „Die Pest unserer Gegenwart , die faschistische Barbarei ,
nirgendwo auf der Welt ist sie so von Grund auf verhaßt , nirgends wird ihr ein so einmüti-
ger Widerstand entgegengesetzt , als in den Vereinigten Staaten. Gäbe es sonst hier nichts ,
was uns anzöge , dies allein wäre anziehend genug. Aber es gibt vieles darüber hinaus.“878
Und bezüglich des zu führenden „Kriegs ohne Waffen“ formulierte das Schriftsteller-Ge-
schwisterpaar aus dem US-Exil stellvertretend für alle in die Emigration Gezwungenen :
„Je schwächer und unwissender die Gegenspieler der faschistischen Gewalt in den europäi-
schen Demokratien sich zeigen , je mehr die Hoffnung schwindet , daß mit ihrer Hilfe in Folge
jenes ‚Drucks von außen‘ , von dem in unseren Kreisen viel geträumt worden ist , die deutsche
Diktatur eines Tages zu Fall kommen möchte , um so dringlicher erscheint die Sendung der
Emigration. Zwischen dem verdunkelten Deutschland und der verschreckten Welt bilden die
deutschen Exilierten eine Brücke. Und neben den Aufgaben , die das Leben jedes einzelnen
bestimmen , sind es zwei Aufgabenkreise , vor welche die Emigration in ihrer Gesamtheit sich
gestellt sieht. Der erste betrifft die Welt , der zweite die verlorene Heimat.“879
Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und
Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 –
langfristige Reorientierung als Paradigma
Während der Jahre 1943 bis 1945 fanden zahlreiche größere und kleinere Tagungen und
Konferenzen zur Reeducation statt , die zumeist von akademisch-universitärer Seite ge-
plant und organisiert wurden , jedoch in der Regel – so auch die Konferenzen des von
Vertretern der klinischen Psychiatrie und Psychologie dominierten „Joint Committee on
Postwar-Planning“880
– in einem Kooperations- und informellen Austauschverhältnis mit
staatlichen Behördenstellen wie dem bereits genannten „General Advisory Committee on
Post-War Programs“ standen. Das „Joint Committee on Postwar-Planning“ versammel-
te hochrangige amerikanische Psychiater , Psychotherapeuten , Entwicklungs- und Sozi-
alpsychologen , Psychoanalytiker , Anthropologen und Sozialwissenschafter wie Margaret
Karl Niebyl , Gretel und Edward Lowinsky oder Elizabeth Jennerjahn. Siehe : Füssl , Deutsch-Amerika-
nischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung – Wissenschaft –Politik , a. a. O., 133 ff.
878 Erika und Klaus Mann , Escape to Life – Deutsche Kultur im Exil , München 1991 [ Boston 1939 ] , 364.
879 Ebd., 382.
880 Diesem Komitee gehörten folgende Einrichtungen an : American Association on Mental Deficiency ,
American Branch of the International League against Epilepsy , American Neurological Association ,
American Orthopsychiatric Association , American Psychiatric Association , American Society for Re-
search in Psychotic Problems , National Committee for Mental Hygiene. Siehe : Germany After the War ,
Round Table – 1945. In : American Journal of Orthopsychiatry , Vol. XV , No. 3. Juli 1945 , 381. Zit. nach :
Bungenstab , Umerziehung zur Demokratie ? , a. a. O., 216 , Anm. 36.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Subtitle
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Author
- Christian H. Stifter
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 762
- Keywords
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741