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Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester
Auf Tourneen war Johann Strauß Vater mit Lob überschüttet worden, eine Anerkennung, die in mindes-
tens dem gleichen Maße seinen Musikern zukam wie ihrem gestrengen Anführer. Nach seiner großen Reise
nach London und Paris war Strauß als Orchestererzieher unangefochten, wie ein Bericht in der Theaterzei-
tung zeigt: „Es lässt sich aber nicht leicht etwas Exacteres und energischer Ineinandergreifendes denken, als
dieses Orchester, welches mit Leib und Seele einem Zwecke hinstrebend, unter dem Winke seines genialen
Dictators ein einziger Körper zu seyn scheint, und ich zweifle sehr, ob viele Musikkörper existiren, welche
die schwierigsten Musikstücke, die delicatesten Compositionen, mit so schöner Nuancirung, mit solchem
Licht und Schatten, so ganz im Geiste des Compositeurs, auszuführen im Stande sind, wie dieses Tanzmu-
sik-Orchester, welches in Paris und London zur Mitwirkung bei den berühmtesten Concerten verwendet
wurde. Hierher kommt, ihr strengen Rigoristen, ihr Musikenthusiasten in Folio, die ihr schreit: der Sinn
für wahre Musik sey in Wien gänzlich erstorben, habe einem lautern Walzerdideldum Platz gemacht, die
ganze Geschmacksrichtung sey verderbt, und die einzige und alleinige Schuld komme auf unsere Walzer-
Reunionen, hierher kommt, sage ich, und hört Lindpaintners Ouvertüren zum ‚Vampyr‘, zur ‚Genueserin‘,
zu Mayerbeers [sic!] Finale der ‚Ghibellinen‘ mit solchem Feuer, mit solcher Präcision ausführen, hört sie
in einem Gasthauslocale mit allgemeinem Beifalle aufgenommen, mit noch größerem Beifalle wiederholt;
und dann sagt, dass der Geschmack für echte Musik erstorben sey!“137 Diese Eloge scheint umso berechtig-
ter, als das Straußsche ebenso wie das Lannersche Orchester ein reines Privatunternehmen war, das sich auf
dem freien Markt zu behaupten hatte und dabei die spärlichen professionellen Ensembles weit hinter sich
ließ: „Durch die gründliche Reform seines Orchesters hat sich Strauß ein neues Verdienst um die Erheite-
rungen der Residenz erworben. Er exequirt jetzt mit seinem trefflichen Personale nicht blos seine eigenen
Compositionen, sondern auch fremde sehr schwierige Orchesterstücke mit solcher Reinheit, Präcision
und Vollendung, wie man sie bei einem anderen Privatunternehmen dieser Art gewiß nicht wieder finden
wird.“138 Zuweilen griff Strauß zu hoch, was ihm eine milde Rüge einbrachte, als er am 28. Mai 1841 neben
den Ouvertüren von Aubers „Feensee“ und Donizettis „La Favorita“ sogar Beethovens 5. Sinfonie in c-
Moll aufführte. „So löblich dieses Bemühen Strauß’s ist, dem gebildeten Publikum, das den Volksgarten an
solchen Abenden, wo er spielt, zu huldigen, so präcis und vollendet die Executirung durch sein Orchester
immerhin ist: die Aufnahme dieser Tonstücke lieferte den Beweis, man wolle sich im Freien lieber mit der
heiteren Walzermusik befreunden. Möge dieser Wink zur Beachtung dienen, ohne dass damit gesagt seyn
soll, das Strauß’sche Orchester könne größere Compositionen nicht aufführen; hat man doch im Gegen-
theile den Beweis, dass sein trefflich organisirtes und eingeübtes Musikcorps manches größere Orchester
schon zu Schanden gemacht hat.“139 Nicht eine mangelhafte Interpretation wird also gerügt, lediglich das
Unpassende, eine solche Sinfonie im ungewohnten Rahmen zu bringen, wurde bemängelt. Sein Sohn Josef
wird es sein, der Jahrzehnte später die Wiener sogar mit Wagners Musik vertraut machen würde.
Ungezählt sind die einschlägigen Zeitungsartikel, welche das Lannersche Orchester lobten. „Es ist eine Lust,
wie diese Leutchen so unverdrossen und exakt zusammen spielen – o möchten sich doch andere hießige
Musiker ein Vorbild daran nehmen!“140 Beide Dirigenten arbeiteten ernsthaft mit ihren Ensembles, über
das bloße Zusammenspiel hinaus wurde der Orchesterklang gerühmt. Wer achselzuckend das „mindere“
Repertoire ins Treffen führen will, sei daran erinnert, dass Lanner und Strauß höchst anspruchsvolle Lite-
ratur im Gepäck hatten: Ouvertüren von Rossini und Beethoven zählten ebenso zu ihren Standardwerken
wie die diffizilsten Passagen in den Opernpotpourris. Und wer immer versucht hat, einen Lannerschen oder
Straußschen Walzer nicht einfach herunterzuspielen, sondern ihm mit aller Raffinesse gerecht zu werden,
der weiß, welch hartes Stück Arbeit dahinter steckt. Zieht man in Betracht, dass Lanner täglich Konzerte
gab und bei Ballveranstaltungen stundenlang, bis in die frühen Morgenstunden aufspielte, dann bleibt das
ungelöste Rätsel, wann eigentlich noch Zeit für die Einstudierungen geblieben sein kann. Mozarts Ouver-
türe zu „Don Giovanni“ wurde den Musikern noch tintennass aufs Pult gelegt und ohne Probe zur Urauf-
führung gebracht, Beethovens Sinfonien unter des Komponisten kaum souveräner Leitung mit einer halben
Durchspielprobe der Öffentlichkeit vorgestellt – trotz der mangelhaften Ausführung erahnte das Publikum
137 Theaterzeitung 8. 5. 1839.
138 Theaterzeitung 27. 6. 1839.
139 Der Wanderer 2. 6. 1841.
140 Bericht über Konzerte Lanners im Theater in Baden, Theaterzeitung 6. 8. 1832.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der Abkürzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- Flüchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang