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Joseph Lanner â Leben und Werk
tiert mit seinen heftigen SchlÀgen auf erster und zweiter ZÀhlzeit (2. und 4. Takt), die das Geschehen nahezu
zum Stillstand bringen, mit den langen Legatobögen des ersten Teils. Dieser wiederum knĂŒpft in seiner
aufwĂ€rtsstrebenden Chromatik an Walzer Nr. 2 an, fĂŒhrt aber die Linie weiter. Walzer Nr. 4 bietet neckische
Verzierungen, das typische Motiv aus zwei Sechzehntelnoten mit anschlieĂender Achtelpause (solche Mo-
tive entstanden aus ursprĂŒnglich zwei gewöhnlichen Achtelnoten, die im Lauf der Zeit rascher genommen
und mit der sich daran anschlieĂenden Pause als Ăberraschungseffekt eingesetzt werden konnten), und ei-
nem rasch auszufĂŒhrenden Oktavmotiv, welches auf der Geige seine Wirkung nicht verfehlen konnte. Wal-
zer Nr. 5 spielt mit der Erwartungshaltung der Zuhörer: in der Subdominante C-Dur beginnend, gibt sich
der ganze erste Teil finalmĂ€Ăig, erst mit dem Einsatz des tatsĂ€chlichen Finales begreift man Lanners Scherz.
Pesth wurde fĂŒr einen weiteren Walzer zum Namensgeber: âAbschied von Pesthâ op. 95 mit der Zusatzbe-
zeichnung âMonument-Walzerâ (dieser Untertitel wurde Gegenstand eines humorvollen Artikels siehe dort).
Dass Lanner mit den genannten Walzern sich neue Regionen erschlossen hatte, wurde von seinen Zeit-
genossen aufmerksam und anerkennend registriert, sorgte aber auch fĂŒr Irritationen. AnlĂ€sslich einer der
ersten AuffĂŒhrungen des op. 95 wurde dieser mit dem zeitgleich entstandenen âDampf-Walzerâ op. 94
verglichen: âDiese [gemeint ist op. 95, Anm. d. V.] Walzer wurden allgemein als die beste Composition
Lannerâs gepriesen. Die âDampfwalzerâ scheinen jedoch einen besseren Klang zu haben, weil sie wirk-
lich Walzer sind. In jener neuesten Leistung tritt zwar das Charakteristische, das Intensive, das in allen
Lannerâschen Walzern vorherrscht, bedeutend in den Vordergrund; allein es sind so viele KĂŒnsteleien
und Verschnörkelungen eingewebt, dass man die Form des Walzers gar nicht erkennt.â158 Ins Finale des
Dampf-Walzers ist ein Galopp eingebaut, anschlieĂend nimmt Lanner das Anfangsmotivs der Introduk-
tion auf: eine Klammer, die das gesamte Werk umschlieĂt, ist gespannt.
Zu Lanners populĂ€rsten Walzern zĂ€hlen âDie Werberâ op. 103, 1835 ebenfalls in Pesth oder nach Lanners
RĂŒckkehr nach Wien komponiert. Viele Ăhnlichkeiten bestehen mit op. 93: ebenfalls Moll (diesfalls fis-
Moll) im ersten Walzer, die rhythmische Struktur des ersten Themas ist nahezu identisch mit dem des
âPesther-Walzersâ, allerdings dynamisch deutlicher zweitaktig gegliedert. Moll kehrt immer wieder, einige
Themen beginnen dominantisch, was spannungssteigernd hin zur jeweiligen Themenkadenz wirkt. In
der Instrumentierung gewÀhrt Lanner jedem Spieler dankbare Passagen, eine Klavierfassung kann dem
Reichtum dieser Partitur nicht gerecht werden, so wenig wie eine Bearbeitung fĂŒr ein kleines Ensemble.
Wenn Lanner die Solotrompete zur UnterstĂŒtzung der melodiefĂŒhrenden Geigen einsetzt, wenn kleine
Gegenmotive der Celli vom Fagott unterstĂŒtzt werden, das sich gleich darauf in Terzen der 2. Klarinette
anschlieĂt, der Klangraum durch Piccolo und Posaune weit ausgedehnt wird, so zeigt dies den Ăbergang
zum groĂ besetzten und sinfonisch gedachten Orchesterapparat.
Nun entstehen die groĂen Walzer, deren Namen uns bis heute das Bild Lanners vermitteln: âAbendster-
neâ, âDie Romantikerâ, âDie Schönbrunnerâ zeigen uns das Bild eines reifen Komponisten, der auf allen
Gebieten souverĂ€n ĂŒber seine Mittel herrscht, dessen Werke bei jeder Vorstellung schon nach wenigen
Takten bejubelt werden. Die Zahl der Einzelwalzer pendelt sich bei meist sechs ein, manchmal (wie in den
âSchönbrunnernâ) auch weniger, dafĂŒr nimmt das Finale breiten Raum ein (siehe das dortige Kapitel).
Darauf hingewiesen sei, dass âWalzerâ immer als Mehrzahlwort zu verstehen ist: der Walzer (Einzahl)
bezeichnet eine einzelne Nummer (in der Regel zweiteilig, also Walzer-Trio, wobei jeder Teil in sich
wiederholt wird und am Ende der gesamte Abschnitt da capo gespielt wird), aus den einzelnen Walzern
bildet sich die Walzerkette. Deshalb tragen alle Walzer ein Mehrzahlwort als Titel (siehe dort). Die Tonar-
tenfolge bleibt innerhalb des durch die Grundtonart abgesteckten Bereichs (aufeinander folgende Walzer
im Quintabstand, manchmal auch im Terzabstand), fallweise finden wir aber auch entfernte Tonarten
und kĂŒhne Harmonien: gerne lĂ€sst Lanner ein Walzerthema auf der Dominante oder einer noch weiter
entfernten Stufe beginnen und erreicht die Grundtonart erst mit der Schlusskadenz.
158 Theaterzeitung 16. 2. 1835.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, TĂ€nze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂŒrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn â Werden â Sein 21
- VorlĂ€ufer â MitlĂ€ufer â Nachfolger 23
- Tanz 28
- BĂ€lle â TanzstĂ€tten â AuffĂŒhrungsorte 32
- Solisten â Ensemble â Kapelle â Orchester 39
- Akademie â AssemblĂ©e â Conversation â Piquenique â RĂ©union 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- WidmungstrÀger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen â Bibliotheken â Sammlungen 101
- FunktionalitĂ€t â Autonomie â Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik â Biedermeier 108
- Strahlender Stern â leuchtender Stern 112
- Rezension â Rezeption 113
- FlĂŒchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang