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Werke
ren in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich, mit Beethovens âPastoraleâ fanden sie sogar Eingang in
die groĂe Konzertliteratur. Ăhnlichkeiten sind nicht von der Hand zu weisen, Lanner scheint nachgerade
einzelne SĂ€tze Beethovens vor Augen gehabt zu haben: den Beginn bildet âUns von dem Schauer einer
Gewitternacht ĂŒberraschen zu lassenâ (entspricht dem Einbruch der Gewitterszene nach dem Scherzo
bei Beethoven), nicht ganz logisch gefolgt von âMit Anbruch des Tages aus den Federn zu kriechenâ (am
ehesten dem 1. Satz der âPastoraleâ vergleichbar), Nr. 3 nennt sich âDie Heerden auf den Alpen blöcken
und mĂ€ckern zu hörenâ, woran sich âUns am Schalmey-Ruf und Sennergesang zu ergötzenâ anschlieĂt
(entsprechend dem Finale der âPastoraleâ), die letzten Nummern lauten âDer tönenden Abendglocke
zu horchenâ, âEinem lĂ€ndlichen Feste der Alpenbewohner unsere Gegenwart zu schenkenâ (Beethovens
Dorffest wird hier auf den Abend verlegt) und zu guter Letzt âVon einem Kuhhorn zur Ruhe uns einlullen
zu lassenâ. Resignierend schlieĂt der Rezensent: âBey einer solchen anspruchslosen Kleinigkeit, die so oft
besprochene Streitfrage: âin wie ferne Mahlerey in der Musik zulĂ€ssig seyâ nur in Anregung zu bringen,
noch viel weniger entscheiden zu wollen, wĂŒrde nur vom Ăbel seyn.â196
Diese ersten drei sind zugleich die letzten âQuodlibetsâ. Der Begriff taucht in den mit Opuszahlen verse-
henen Werken nicht mehr auf (ob Lanner spÀter Quodlibets schrieb, die nicht verlegt wurden und verlo-
ren gegangen sind, kann nicht eruiert werden). Es folgt die Zeit der âPotpourrisâ. In der Zeitungsbericht-
erstattung wird dieser feine Unterschied nicht gemacht, auch weiterhin ist von âQuodlibetsâ die Rede.
Es vergehen vier Jahre, 1832 entsteht âCapricciosa. GroĂes Potpourriâ op. 63. Erhalten ist lediglich die
Klavierfassung, in welcher allerdings detaillierte Instrumentationsangaben zu finden sind ebenso wie die
Titel der zitierten Werke (u. a. ein StrauĂ-Zitat aus âDas Leben ein Tanzâ, eine Melodie von Pamer, die
englische Hymne âGod save the kingâ, Eigenzitate und Zitate aus Opern von Bellini, Herold und Au-
ber). Die AuffĂŒhrung eines Potpourris wird zum Spektakel, den Abschluss bildet eine Schlachtmusik mit
âAttacken von allen Seitenâ, âKanonenschĂŒssenâ und âSturmglocke Feuerâ. Beethovens âWellingtons
Siegâ arbeitet mit Ă€hnlichen Mitteln, der Erfolg beim Publikum war garantiert, wie ein zeitgenössischer
Bericht beweist: âUnter den angenehmen Gaben, welche Lanners schöpferische Laune uns biethen, ist
die âK[sic!]apricciosaâ ein neues Quodlibet gewiss Etwas sehr AmĂŒsantes und in höchst origineller Ma-
nier Zusammengestelltes. Das gleichzeitige Strömen so vieler reizender und pikanter Melodien verfehlt
durchaus seine Wirkung nicht und schon beym Beginne dieses MusikstĂŒckes sind alle Zuhörer Ohr. Sehr
glĂŒcklich ist das SchlachtgemĂ€hlde erfunden und dargestellt, welches das Ganze schlieĂt; rechnet man
nun hinzu das artige Brillantfeuer und den fortwĂ€hrenden Wechsel der lieblichsten MusikstĂŒcke jeder
Art, so kann es jawohl nicht befremden, dass die RĂ€ume an solchen Tagen ĂŒberfĂŒllt sind, und eine Menge
schöngeschmĂŒckter Menschen den aufregenden und erheiternden Tönen lauscht.â197
Lanner verfĂŒgt nun ĂŒber ein ausreichend groĂes Orchester, um solche Quodlibets effektvoll in Szene zu
setzen.
âMeloramaâ op. 77, im Jahr 1833 entstanden und am 8. Juni in einer Abendunterhaltung im Paradies-
Garten erstaufgefĂŒhrt, vereint erneut populĂ€re Melodien. Die erhaltene Stimmenabschrift beeindruckt
vor allem durch die FĂŒlle der Schlagzeuginstrumente: neben diversen Trommeln kommen Kastagnetten,
Kuckuckspfeifen, Kuhglocken, Ratschen und Tamtam zum Einsatz. NatĂŒrlich war die Lannersche Kapel-
le nicht groĂ genug, um fĂŒr die diversen Schlagzeugpartien eigene Spieler aufzubieten, so mussten vor-
nehmlich die BlÀser diese Instrumente bedienen: der Fagottist durfte Policinello, Ratsche und Kuckuck
bedienen, die Hörner wechselten nicht nur â wie bei Lanner ĂŒblich â auf Trompete, sondern bekamen
nebenbei Kastagnetten, Kuckuck und Pfeiferl zugewiesen, die beiden Schlagzeugspieler durften sich an
kleinen und groĂen Trommeln, Glockenspiel, Kuhglocken und Triangeln delektieren. Die Rezension
einer AuffĂŒhrung am 19. Juni 1833 im Paradiesgarten ĂŒberschlug sich vor Begeisterung, lediglich die
196 Ebd.
197 Theaterzeitung, 12. 7. 1832.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, TĂ€nze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂŒrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn â Werden â Sein 21
- VorlĂ€ufer â MitlĂ€ufer â Nachfolger 23
- Tanz 28
- BĂ€lle â TanzstĂ€tten â AuffĂŒhrungsorte 32
- Solisten â Ensemble â Kapelle â Orchester 39
- Akademie â AssemblĂ©e â Conversation â Piquenique â RĂ©union 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- WidmungstrÀger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen â Bibliotheken â Sammlungen 101
- FunktionalitĂ€t â Autonomie â Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik â Biedermeier 108
- Strahlender Stern â leuchtender Stern 112
- Rezension â Rezeption 113
- FlĂŒchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang