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Joseph Lanner – Leben und Werk
und zuletzt endlich – zum Finem lauda, –
eine lange und breite Cadenz mit Ritardando’s, Trillern, halsgefährlichen Sprüngen, chromatischen Gängen,
und dergl., worauf – tandem aliquando –
das Motiv in höchster Einfalt hervortritt.
So mehr oder weniger, möchte das Universal-Recept für alle Introductionen lauten,
und es ist sicherlich von ganzem Herzen zu wĂĽnschen,
dass man dieses ewige Einerley je bälder je lieber verabschieden möge;
so gewiß es wahr bleibt, dass nicht die Flügel der Phantasie mehr lähmt
als solcher Formenzwang, und wenn er selbst auch ein freywilliger wäre. – Dixi!“ 226
Jeder Rhetoriker weiĂź um die Wichtigkeit des richtigen Beginnes. Das Publikum auf sich aufmerksam
machen, es an sich zu binden, es zu fesseln, um es geschickt hinzufĂĽhren auf den Kern der Rede, auf das
Wesentliche, ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Ein guter Beginn entscheidet ĂĽber Erfolg oder
Misserfolg des Ganzen, ist der Einstieg vertan, kann die Hauptaussage noch so sensationell sein, sie wird
ihre Wirkung verfehlen.
Nicht wenige Komponisten fĂĽrchten das leere weiĂźe Blatt, das ihnen zu Beginn entgegenstarrt. Es kommt
nicht von ungefähr, dass manche Komponisten Introduktionen erst schreiben, wenn der Rest des Werkes
vollendet oder zumindest grob skizziert ist.227
Im Barock und bis weit in die frĂĽhe Klassik hatten Introduktionen eine pragmatische Funktion: das
Konzertritual war noch nicht erfunden, Plaudern und Essen selbst während einer Vorstellung selbstver-
ständlich. Mit der Ouvertüre machte der Komponist auf sich aufmerksam, gab das Zeichen zum Anfang.
Möglichst laut, mit allen Instrumenten musste man einsetzen, um dem Schwätzen Einhalt zu gebieten
(nebenbei konnte man so stolz vorfĂĽhren, ĂĽber wie viele Instrumentalisten man verfĂĽgte).
Introduktionen können Konzertbeginn wie Stückbeginn markieren. Konzertabläufe waren bis weit
ins 19. Jahrhundert nicht standardisiert (das 20. Jahrhundert, so progressiv es in den Werken sich
gibt, bleibt im Programmablauf merkwĂĽrdig konservativ), eine OuvertĂĽre mochte am Beginn, eine
Sinfonie am Ende stehen, es gab aber auch Konzerte, in denen lediglich einzelne Satzteile losgelöst
vom Sinfonieganzen erklangen, Solonummern zwischen Orchesterwerken eingeschoben wurden.
Dennoch muss jedes Werk für sich seine Wirksamkeit entfalten können, muss seinen ihm eigenen
Auftakt setzen.
FĂĽr Tanzmusik gelten andere Regeln als fĂĽr Barockopern oder romantische Symphonien, Grundregeln
der Rhetorik finden sich dennoch auch hier, manche sogar stärker als dort. Banale akustische Erwägun-
gen schränken künstlerische Intentionen ein, der überhörte Walzereinsatz bringt das Publikum nicht
zum Tanzen. Der romantische Tremolonebel am Anfang des „Donauwalzers“ ist dem Konzertpublikum
gewidmet, nicht der tanzwĂĽtigen Meute. Johann StrauĂź Sohn konnte mit einem kultivierten Publikum
rechnen, das einer Novität ehrerbietig zuhörte, ehe es (bei den sofort eingeforderten Wiederholungen)
dazu tanzte. Ein, zwei Generationen zuvor wäre es verlorene Liebesmüh gewesen, einer Einleitung mehr
als die Funktion des Zeichensetzens zukommen zu lassen. Der acht- bis zehnstimmige Akkord, vom Re-
zensenten des Allgemeinen Musikalischen Anzeigers so erbittert bekämpft, tat seine Wirkung: man hörte
auf zu Reden, und sei es nur aus Erschrecken.
Die Funktion der Einleitung war somit klar definiert: das Zeichen zum Beginn wurde gesetzt, die Paare
konnten sich auf dem Tanzboden einfinden, sich zum Tanzen bereit machen (oder, hatten sie gerade eine
226 AMA 16. 5. 1829.
227 Ein besonders Beispiel ist Brahms, 1. Sinfonie c-Moll. Brahms sandte den ersten Satz – noch ohne Introduktion – zur
Ansicht an Clara Schumann. Das Allegro seinerseits beginnt mit einer viertaktigen Kadenz, ehe das Hauptthema einsetzt.
Nachträglich fügte Brahms die langsame Einleitung hinzu mit dem Effekt, dass der erste Satz quasi eine Doppeleinleitung
hat. (Anm. d. V.)
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang