Page - XVIII - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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xx Frank Stern · Barbara Eichinger
Je breiter die Kultur und Gesellschaft Wiens betrachtet werden, umso mehr lösen sich
allerdings eindeutige Trennlinien einer jüdischen Identität bzw. jüdischer Identitäten
auf. Wien repräsentierte auch hinsichtlich der Bevölkerung jüdischer Herkunft eine
Vielzahl jüdischer Milieus, unterschiedliche Bereiche intellektueller, wissenschaft-
licher, wirtschaftlicher und medialer Präsenz, die unter anderem wiederum durch
Sozialstruktur, religiöse und säkulare Affinitäten, politische Orientierungen und An-
wesenheitsdauer, aber auch durch die Sprachenvielfalt Deutsch, Hebräisch und Jid-
disch beeinflusst waren. Regional geprägte Traditionen, religiöse und säkulare Strö-
mungen stechen genauso hervor wie rituell unterschiedlich bestimmte Synagogen,
Bethäuser, Schulen, Vereine, Jugendorganisationen, die zwischen Orthodoxie und
Reformjudentum, zwischen Zionismus und Sozialismus, Arbeiterjugend, Studenten-
verbindungen und Blau-Weiß oszillierten. Oftmals beeinflussten die Unterschiede der
Generationen, antisemitische Erfahrungen und die Ausstrahlung des Projekts einer
jüdischen Ansiedlung Palästina, erst unter ottomanischer Herrschaft und dann unter
der britischen Mandatsmacht, die innerjüdischen Debatten. Hinzu kam unter ande-
rem durch Martin Buber die Popularisierung einer jüdischen Renaissance und damit
einhergehend des kulturellen Zionismus, wofür nicht allein die Zeitschrift Der Jude
stand. Stets ging es um die jeweiligen Einstellungen zur umfassenden Integration
oder zu einer stärkeren eigenständigen kulturellen Abgrenzung, die Spannung zwi-
schen Universalismus und Partikularismus. Und immer scheint in solchen Debatten,
Reden, Erinnerungen und ästhetischen Verarbeitungen ein intensives Ringen um die
Inhalte der Moderne auf. Es gibt wohl kaum ein nachdenkenswerteres Zitat in
diesem Zusammenhang als Schönbergs Bemerkung in seiner Rede auf Gustav Mahler
in Prag am 25. März 1912, in der er, sich auf Mahlers Viii. Symphonie beziehend,
selbstironisch vermerkt, welchen Satz er bei jedem Musikschüler weggestrichen hätte
und dann anfügt : „Und unglaublich : hier ist es richtig ! Hier stimmt es ! Hier dürfte
es gar nicht anders sein. Was sagen die Gesetze dazu ? Man muß eben die Gesetze än-
Vgl. Hanni Mittelmann, Armin A. Wallas (Hg.) : Österreich-Konzeptionen und jüdisches Selbstverständnis.
Identitäts-Transfigurationen im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen : Niemeyer 2001; Klaus Hödl (Hg.) :
Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse, Schriften des Centrums für
Jüdische Studien, Bd. 6, Innsbruck : Studienverlag 2004.
Eleonore Lappin : Der Jude 1918–1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus,
Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 62, Tübingen : Niemeyer 2000 ;
vgl. zu Bubers politischen Auffassungen : Paul Mendes-Flohr (Hg.) : Martin Buber. Ein Land und zwei
Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, Frankfurt am Main : Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 1993.
Vgl. als Beispiel für eine Untersuchung der kulturellen und sozialen Übergänge im Deutschen Reich :
Till van Rahden : Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholi-
ken in einer deutschen Gesellschaft von 1860 bis 1925, Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht 2000.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519