Page - 33 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Einleitung
Jüdische Lebenserinnerungen
damit auch von ihrem eigenen gesellschaftlichen Umfeld entfremdete. Tatsächlich
geben fast alle ehemaligen Mitglieder zionistischer Jugendbewegungen an, keine
nichtjüdischen Freunde gehabt zu haben. Minna Lachs (geb. 1907), die zusam-
men mit ihren säkularen Eltern zu Beginn des Ersten Weltkriegs von Galizien nach
Wien flüchtete, fand im „Haschomer Hazair“ beglückendes Gemeinschaftsgefühl
und ihre erste große Liebe. Nachdem sie sich entschlossen hatte, ihrem Freund
nicht nach Palästina zu folgen, fand sie fast selbstverständlich den Weg zur Sozialde-
mokratie. Dass Lachs in ihrer Autobiografie die starke Binnenfixierung des „Ha-
schomer“ kritisiert, hängt mit ihrer Einstellung zu Österreich zusammen, die sie
nach der Shoah aus der amerikanischen Emigration wieder nach Wien zurückkeh-
ren ließ. Denn in Israel abgefasste Berichte über zionistische Jugendorganisationen
sehen diesen Rückzug aus der österreichischen Gesellschaft durchwegs als positiv.
Towa Bar Niw (geb. ca. 1920), die später ebenfalls nach Israel emigrierte, gesteht
allerdings ein, dass sie, als sie sich mit dreizehn Jahren dem „Makkabi Hazair“ an-
schloss, zunächst einen inneren Zwiespalt zwischen dem Zionismus und ihrer Liebe
zu Wien verspürte. Dennoch wurde sie rasch überzeugte Zionistin. Sie betont, ein
neues Selbstbewusstsein entwickelt zu haben, das ihr später half, mit dem Schock
des „Anschlusses“ fertig zu werden. 9
In den Dreißigerjahren näherten sich auch jüdische Organisationen dem Zionis-
mus an. 0 Norbert Abeles (geb. 1923) war seit 1935 Mitglied beim „Jüdischen Pfad-
finderverband Österreichs“. Als dieser sich 1937 mit einer zionistischen Gruppierung
zusammenschloss, wechselten er und einige Freunde 1937 zum offenbar unpoliti-
schen Turnverein „Makkabi“.
Doch auch die Sportvereine wurden politischer, das heißt zionistischer. Nach-
dem Ulrich Richard Furst (geb. 1913) 1933 auf der Technischen Hochschule von
Nationalsozialisten verprügelt worden war, trat er der „Haganah Jewish Military
Sport and Rifle Association“, einer „alljüdischen“ (jüdisch nationalen) Selbstvertei-
digungsgruppe, bei, wo ehemalige Offiziere der k.u.k. Armee die Mitglieder parami-
litärisch ausbildeten. Als die „Haganah“ noch im selben Jahr aufgelöst wurde, ging
Lisbeth Rosenthal, geb. Schwarz, Injoest, Kt. 26, Sig. 109.
Lachs, Warum schaust du zurück ?, S. 93.
Ebd., S. 156.
Vgl. z. B. Lisbeth Rosenthal, geb. Schwarz, Injoest, Kt. 26, Sig. 109 ; Chava Holtzmann, geb. Henriette
Nussbaum, Injoest, Kt. 65, Sig. 257.
Towa Bar Niw, Injoest, Kt. 02, Sig. 06.
0 1932 übernahmen die Zionisten die Führung im Vorstand der ikg und stellten mit Desider Friedmann
den Präsidenten.
Norbert Abeles, Injoest, Kt. 1, Sig. 1/1, 1/2.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519