Page - 72 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Gabriele Anderl
waren an schwere körperliche Arbeit gewöhnt. Besonders schwierig war die wirtschaft-
liche Situation für Akademiker, etwa auch für Ärzte, sowie für Kaufleute.
Dass die Einwanderung nach Palästina auch noch in den Dreißigerjahren einen
radikalen Bruch mit den gewohnten Lebensbedingungen mit sich brachte, verdeut-
lichen die Ausführungen des bekannten österreichischen Linkszionisten Leo Gold-
hammer anlässlich eines Vortrags in Wien im Jahr 1934. Abweichend von dem in zio-
nistischen Publikationen üblichen Enthusiasmus berichtete er äußerst realistisch und
zum Teil auch pessimistisch über eine Reise nach Palästina, die er kurz zuvor unter-
nommen hatte. Er zeigte sich „sprachlos“ sowohl „über das unglaublich Schöne“, aber
auch über vieles „Unschöne“, das er gesehen hatte. Besonders kritisierte Goldhammer
„die katastrophale Zerklüftung des Jischuw, die auch die persönlichsten menschlichen
Beziehungen vergiftet“, und die „Hypertrophie des Vergnügungswesens“, und er zer-
störte zugleich viele Hoffnungen potenzieller Einwanderer :
„Nur wirkliche Facharbeiter, die in ihrem Beruf Meister sind, Menschen, die
arbeitsfähig sind und gewillt sind, sehr schwer zu arbeiten, werden in Palästina wirt-
schaftlich bestehen können. Die Arbeit ist in Palästina viel schwerer und stellt an
den Einzelnen viel größere Forderungen als sonst wo in der Welt. Es muss bezweifelt
werden, ob Kulis so schwer arbeiten wie die jüdischen Arbeiter in Palästina.“
Die jüdische Einwanderung nach Palästina in der Zwischenkriegszeit
und das Wiener Palästina-Amt
1918 hatte die jüdische Bevölkerung Palästinas mit 56.000 Personen etwa zehn Pro-
zent der Gesamtbevölkerung ausgemacht. Das folgende Jahr hatte den Beginn einer
neuen Einwanderungswelle markiert, die später als „Dritte Alija“ bezeichnet wurde.
Bis 1923 kamen 35.000 Neueinwanderer ins Land. Im Zuge dieser Immigrations-
welle entstanden zahlreiche Institutionen, die der zionistischen Arbeiterbewegung
nahe standen, allen voran der „Kibbuz“ als kollektive Siedlungsform sowie die Ge-
werkschaftsbewegung „Histadrut“.
Zit. bei Evelyn Adunka, Exil in der Heimat. Über die Österreicher in Israel, Innsbruck, Wien, München,
Bozen 2002, S. 145.
Hauptquellen für den einleitenden Teil sowie das folgende Unterkapitel sind, sofern nicht anders an-
gegeben : Gabriele Anderl, Angelika Jensen, „Zionistische Auswanderung nach Palästina vor 1938“, in :
Traude Horvath, Gerda Neyer (Hg.), Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts
bis zur Gegenwart, Wien, Köln, Weimar 1996, S. 187–209, sowie Palästina-Amt Wien (Hg.), Neues
Palästina-Informationsbuch, Wien 1936.
Yechiam Weitz, „Die jüdische Gemeinde in Palästina („Yishuv“) 1934–1948“, in : Angelika Hagen,
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519