Page - 76 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Gabriele Anderl
Die riesige Einwanderungswelle führte in Palästina gegen Ende des Jahres 1925
zur größten wirtschaftlichen Krise während der Zeit des britischen Mandats und zu
einer sich plötzlich ausbreitenden Arbeitslosigkeit. Diese Situation war wiederum An-
lass für einen massiven Rückstrom jüdischer Arbeiterinnen und Arbeiter in die Ur-
sprungsländer – abermals über Wien. Auch das Wiener Palästina-Amt war von diesen
Entwicklungen unmittelbar betroffen.
Erst 1929 begann sich der „Jischuw“ von der Wirtschaftskrise zu erholen, und die
Einwanderungsbilanz war wieder positiv. Die Beruhigung der Lage war jedoch nur
von kurzer Dauer : Bereits im Sommer desselben Jahres begannen die arabischen Un-
ruhen, die in zwei großen Massakern an Jüdinnen und Juden kulminierten.
Die folgende, sogenannte „Fünfte Alija“ zwischen 1931 und dem Ausbruch des
Zweiten Weltkriegs im September 1939 war die größte und wichtigste in der Zeit des
britischen Mandats. Zwischen 1931 und 1936 trafen an die 178.000 Jüdinnen und
Juden im Land ein. In dieser Zeit verdoppelte sich die Bevölkerung des „Jischuw“,
und auch der Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg rasant : 1931 machte die jüdi-
sche Bevölkerung mit rund 175.000 Personen 17 Prozent aus, Ende 1936 waren es
mit rund 404.000 bereits über 30 Prozent.
„Der Yishuv, bis vor kurzem noch das Ziel einiger weniger Pioniere, wurde nun
zum Zufluchtsort für bedrängte Juden aus aller Welt“, schreibt Yechiam Weitz.
Die „Fünfte Alija“ wurde auch als „Deutsche Alija“ bezeichnet, obwohl der Anteil
der zwischen 1932 und 1939 aus Deutschland eingewanderten Personen nur 19 Pro-
zent betrug.
Dennoch handelte es sich um die erste Masseneinwanderung aus Mitteleuropa.
Während der „Ersten Alija“ 1882 bis 1933 stammten die meisten Immigrantinnen
und Immigranten aus Osteuropa. Dann aber, zwischen April 1933 und Juni 1939,
kamen 55.000 Jüdinnen und Juden aus Mitteleuropa ins Land.9 Der Einfluss der
deutsch-jüdischen Einwanderer war jedoch noch wesentlich größer, als die numeri-
sche Präsenz vermuten lassen würde.
Aufgrund des zwischen zionistischen Organisationen und den Nationalsozialisten
abgeschlossenen „Haavara-Transferabkommens“ konnten um die 5,5 Millionen Pa-
lästinapfund in Form von Waren aus Deutschland nach Palästina transferiert werden
– ein entscheidender Unterschied zur „Vierten Alija“. 0
Ebd., S. 132ff.
Ebd., S. 135.
Ebd.
0 Das Abkommen wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs vor allem auf Betreiben des Sicherheitsdiens-
tes der ss (sD) nicht auf Österreich ausgeweitet.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519