Page - 82 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Image of the Page - 82 -
Text of the Page - 82 -
Gabriele Anderl
1919 waren etwa 400 jugendliche Auswanderungskandidaten in der österreichischen
Landwirtschaft tätig gewesen. Auch für handwerkliche Berufe wie Elektrotechnik
oder Schlosserei wurden Ausbildungskurse organisiert. Ein „Verband jüdischer In-
genieure und Techniker für den Aufbau Palästinas“ bemühte sich um fachmännische
Beratung und die Schaffung von Lehrwerkstätten für die „Berufsumschichtung“.
Die Zahl der von den Briten bewilligten „Arbeiterzertifikate“ (Kategorie „C“) war
großen Schwankungen unterworfen, da gerade die Einwanderung von mittellosen
Arbeiterinnen und Arbeitern von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage im Land ab-
hängig gemacht wurde. Fast immer blieben die von der Mandatsregierung beschlos-
senen Quoten weit hinter den Forderungen der „Jewish Agency“ zurück. Unter die
Kategorie der „Arbeiterzertifikate“ fiel auch das Gros der „Chaluzim“, die von den
zionistischen Institutionen in Palästina als Kernelement der jüdischen Siedlungspoli-
tik betrachtet wurden.
1929 zählte der österreichische „Hechaluz“ 211 Mitglieder, von denen in diesem
Jahr 34 nach Palästina auswanderten. 1932 waren für den österreichischen „Hecha-
luz“ nur zwölf Zertifikate vorgesehen, für das Halbjahr 1937/38 lediglich neun.
In Österreich konzentrierte sich die landwirtschaftliche „Hachschara“ auf Nieder-
österreich und das Burgenland. Angesichts der geringen Entlohnung der landwirt-
schaftlichen Arbeiterinnen und Arbeiter musste der „Hechaluz“ hohe Zuschüsse bei-
steuern. 1937 unterhielt die Organisation in Österreich vier Stadtkibbuzim sowie
sieben ländliche „Hachschara“-Plätze, unter anderem in Bruck an der Leitha, Kot-
tingbrunn und Rekawinkel. Hinzu kamen landwirtschaftliche Einzelplätze sowie vier
Auslandshachschara-Plätze, unter anderem in Jugoslawien und der Tschechoslowakei.
Der Ausbau der „Hachschara“ wurde mit großem Nachdruck betrieben, obgleich klar
war, dass sie nur den Willen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und deren Eignung
für schwere körperliche Arbeit testen, nicht aber eine vollwertige Ausbildung bieten
konnte. Insgesamt absolvierten 1937 rund 200 österreichische Jugendliche eine sol-
che ländliche oder städtische Ausbildung. Sie war der Kern der nach dem „Anschluss“
planmäßig ausgebauten „Hachschara“.
Generationenkonflikte
Der „Hechaluz“ war gemäß den Statuten eine politisch neutrale Organisation, doch
wurde er wegen seiner Ausrichtung auf einen kollektiven Lebensrahmen, seiner egali-
tären Grundhaltung sowie seiner Nähe zu der 1920 gegründeten jüdischen Gewerk-
schaftsbewegung „Histadrut“ in Palästina ideologisch dem sozialistischen Zionismus
zugeordnet. Die Hinwendung zum „chaluzischen“ Leben erforderte einen Bruch mit
back to the
book Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519