Page - 84 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Gabriele Anderl
unserem sozialen Umfeld schon stark mit den veränderten politischen Umständen
konfrontiert.“
Reischers Vater, der auch nach 1933 an dieser Haltung festhielt, erlebte die natio-
nalsozialistische Machtergreifung dann auch als großen Schock.
Willy Ritter leitete den österreichischen „Hechaluz“ von 1936 bis zu seiner Flucht
im Jahr 1939. Sein Universitätsstudium der Mathematik und Physik hatte er 1934
aus ideologischen Gründen abgebrochen :„Ich war einer der führenden Leute in der
Bewegung, und es war Teil der Erziehungsarbeit, als Vorbild mit gutem Beispiel vo-
ranzugehen. Einige meiner Altersgenossen haben hingegen die Bewegung verlassen
und bis 1938 weiterstudiert. Ich widmete mich nun ganz der Erziehung der jungen
Generation.“ Auch dem Drängen seiner Mutter, die ihn 1935 von seinem Hach-
schara-Platz zurückholen und zur Fortsetzung des Studiums überreden wollte, gab er
nicht nach.
Die ideologische Nähe des in Österreich rein zahlenmäßig wenig bedeutsamen
„Hechaluz“ zu den zionistischen Führungsgremien in Palästina und auf Weltebene
führte schon vor dem „Anschluss“ zu heftigen Spannungen mit dem Wiener Paläs-
tina-Amt. Diese Auseinandersetzungen eskalierten nach dem „Anschluss“, als es zu
einem Massenansturm von Auswanderungswilligen auf zionistische Organisationen
kam, aber nur wenige Zertifikate für die Flucht nach Palästina zur Verfügung stan-
den.
Das Chajes-Realgymnasium in Wien
Eine gemäß ihrem Grundkonzept auf die Auswanderung nach Palästina ausgerichtete
Institution war das 1919 gegründete jüdische Realgymnasium in Wien, das sich als
„jüdischnational“ definierte. Die Schule, später nach ihrem Gründer, dem Oberrabbi-
ner Zwi Perez Chajes, Chajes-Realgymnasium genannt, war eine private, koedukativ
geführte Lehranstalt mit Öffentlichkeitsrecht, die bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1939
von rund 1.500 Schülerinnen und Schülern besucht wurde. Größtenteils handelte es
sich um Kinder, deren Eltern aus Osteuropa zugewandert und noch vergleichsweise
eng mit dem Judentum verbunden waren. Von den stark assimilierten Wiener Jüdin-
nen und Juden wurde die Schule hingegen weitgehend ignoriert.
Interviews Gabriele Anderl mit Fred (Alfred) Reischer, Wien 1988, 1989 und 1990 (teilweise archiviert
im DÖW) ; Anderl, „Porträts“, in : Hagen, Nittenberg (Hg.), Flucht in die Freiheit, S. 248 ff.
Ebd.
Interview Gabriele Anderl mit Willy Ritter.
Ebd.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519