Page - 93 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Generationenkonflikte
wieder zu Verteilungskämpfen geführt zu haben. Offenbar gab es auch Fälle von
Korruption.
In der in Wien und Bratislava erscheinenden Jüdischen Presse vom 20. Dezember
1935 erschien unter dem Titel „Man hängt die Kleinen …“ ein Artikel, in dem über
angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung von Einwanderungszertifikaten
nach Palästina berichtet wurde. Es wurde behauptet, die mit Zertifikaten beteilten
Personen hätten im Gegenzug größere Geldbeträge für zionistische Vereinszwecke
– keineswegs freiwillige Spenden – entrichten müssen. Ein gewisser Mendel Teig,
Leitungsmitglied des allgemein-zionistischen „Gdud Zirim“, wurde in der Folge
von einem „Parteigericht“ auf die Dauer von drei Monaten von der Zulassung zur
„Alija“ und seinen Funktionen innerhalb der Bewegung suspendiert. Das „Gericht“
sah von einer schärferen Strafe ab, weil sich angeblich herausgestellt hatte, dass der
„Zionistische Landesverband“ beziehungsweise dessen Präsident, Dr. Oskar Grün-
baum, Kenntnis von den Missbräuchen gehabt und nicht dagegen Stellung bezogen
habe.
Mit dem Fall war auch das „Wanderungsamt“ im österreichischen Bundeskanzler-
amt befasst. Es bat die Bundespolizeidirektion Wien festzustellen, „ob etwa ein ernst
strafbarer Tatbestand vorliegt“. Gemäß den Erhebungen der Polizei erwiesen sich die
Beschuldigungen jedoch als haltlos.
Die zahlenmäßige Dimension der Auswanderung nach Palästina in der
Zwischenkriegszeit
Eine genaue Quantifizierung der jüdischen Auswanderung aus Österreich nach Pa-
lästina in der Zeit zwischen 1918 und 1938 ist schwierig, schon weil die statistischen
Angaben des Herkunftslandes nicht mit jenen der Einwanderungsbehörden in Paläs-
tina übereinstimmen.
Gemäß einer Statistik des Wiener Palästinaamtes waren von diesem zwischen 1920
und Ende 1935 8.425 Personen nach Palästina abgefertigt worden, wobei aber nicht
zwischen den zahlreichen Transitmigrantinnen und -migranten und den aus Öster-
reich stammenden Auswanderern differenziert wurde.
ÖStA/AdR, BKA – Wanderungsamt, Kt. 2236/118, Zl. 61.041/36, 14.1.1936, interne Aktennotiz so-
wie Entwurf eines Schreibens an die Bundespolizeidirektion Wien, Gegenstand : Palästina – Einwande-
rungszertifikate – Missstände bei der Verteilung.
Anderl, Jensen, Zionistische Auswanderung, in : Horvath, Neyer (Hg.), Auswanderungen aus Österreich,
S. 206 ff.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519