Page - 144 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 Peter Landesmann
Die bedeutendste Änderung der traditionellen Bethausgestaltung erfolgte durch
die Verlegung der Bamah in den Osten vor dem Thoraschrein. Die Bamah ist eine in
der Mitte des Bethauses errichtete höhere Plattform, auf der die Bibellesungen statt-
finden. Durch diese Änderung gewann der Stadttempel den Eindruck einer Kirche.
Um der Orthodoxie entgegenzukommen, wurde auf den Brüstungen der Galerien,
wo die Frauen getrennt von den Männern ihre Sitzplätze hatten, ein Gitter, Mechitza
genannt, errichtet, damit die Aufmerksamkeit der Männer nicht durch die Ansicht
von Frauen abgelenkt werde. Dieses Gitter wurde wahrscheinlich in den Vierziger-
jahren des neunzehnten Jahrhunderts wieder entfernt. Weiters war auch eine Orgel
im Tempel vorgesehen.
Als Folge der Reformbewegung im Judentum wurde die Einführung der deutschen
Sprache anstelle des Hebräischen und die Kürzung der Gebete gefordert. Es sollte
auch aus den Gebettexten die Bitte um die göttliche Hilfe zur Rückkehr nach Zion
sowie zur Wiedereinführung des Opferkultes entfernt werden.
Der erste Rabbiner, der zur Leitung des Kultes im Stadttempel berufen wurde,
war Isak Noah Mannheimer. Er bezeichnete sich nicht als „Rabbiner“, sondern als
„Prediger“, um so den Unterschied zu den orthodoxen Rabbinern hervorzuheben.
Indem er den Gottesdienst in hebräischer Sprache beibehielt und nur die Predigt in
Deutsch gehalten wurde, gelang es ihm, in der Kultfrage zu einem Kompromiss zu
gelangen. Ein weiterer wurde auch im Laufe der Zeit in der Frage, ob das Orgelspiel
am Schabbath gestattet sei, erreicht. Nur zu Hochzeiten und sonstigen Feiern, die
wochentags abgehalten wurden, war das Bespielen der Orgel gestattet. Anfang der
Siebzigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts gab es auch über die strittigen Gebete
eine Einigung mit der Orthodoxie. Vereinbart wurde, dass es jedem offenstehe, diese
Gebettexte leise zu sprechen.
Mannheimer verfasste auch eine deutsche Übersetzung der Gebete, damit die Teil-
nehmer am Gottesdienst, die nicht mehr Hebräisch gelernt hatten, die Gebete in
ihrer Sprache mitlesen konnten.
Der traditionelle Bildungsweg seit dem Mittelalter :
Der Cheder und die Talmud-Thora-Schule
Der Unterricht im traditionellen aschkenasischen Judentum war praktisch ausschließ-
lich auf jüdische Fächer wie Thora, Talmud und Halacha beschränkt, Schon im Alter
von drei bis fünf Jahren, je nach dem herrschenden Minhag und der Reife des Kin-
des, besuchten die Knaben entweder einen Cheder oder eine Talmud-Thora-Schule.
Der Cheder war eine private Institution, der Vater zahlte dem Lehrer Schulgeld, die
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519