Page - 163 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Martin Bubers Weg zum Chassidismus 1
(Leipzig 1914). Doch Buber blieb nicht nur bei der editorischen Arbeit stehen. Sein
Weg führte ihn von den unterschiedlichsten mystischen Richtungen schließlich auch
zur jüdischen Mystik, zu Kabbala und Chassidismus. Interessanterweise ist das erste
chassidische Werk, das Buber in Mein Weg zum Chassidismus erwähnt, eine der theo-
logischen Ba’al Schem Tov-Sammlungen, Zawa’at Ha-Rivasch (Das Testament des Ba’al
Schem Tov, gedruckt 1793). Das Werk enthält vor allem Lehren des Maggid Dov Ber
(1704–1772) aus Mesritsch, und nur wenige stammen vom Ba’al Schem Tov : „Bis ich
eines Tages ein Büchlein aufschlug, das ‚Zewaath Ribesch‘ – das ist : Das Vermächtnis
des Rabbi Israel Baalschem – betitelt war […]. Da war es, dass ich, im Nu überwäl-
tigt, die chassidische Seele erfuhr. Urjüdisches ging mir auf, im Dunkel des Exils zu
neubewußter Äußerung aufgeblüht : die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Tat,
als Werden, als Aufgabe gefasst. Und dieses Urjüdische war ein Urmenschliches, der
Gehalt menschlichster Religiosität. Das Judentum als Religiosität, als ‚Frömmigkeit‘,
als Chassiduth ging mir auf. Das Bild aus meiner Kindheit, die Erinnerung an den
Zaddik und seine Gemeinde stieg empor und leuchtete mir : ich erkannte die Idee
des vollkommenen Menschen. Zugleich wurde ich des Berufs inne, sie der Welt zu
verkünden.“
In Florenz, der europäischen Hauptstadt der Renaissance, in der Buber eine Zeit
lang lebte, erstellte er die beiden Schriften, die seinen frühen literarischen Ruhm
begründeten : die frühen chassidischen Nacherzählungen, Die Geschichten des Rabbi
Nachman (entstanden 1904/05, erschienen in Frankfurt am Main bei Rütten und
Loening 1906) und Die Legende des Baal Schem (entstanden 1905/06, erschienen in
Frankfurt am Main bei Rütten und Loening 1908). So schrieb er am 9. 11. 1905 an
Gustav Landauer : „Zum Arbeiten taugt Florenz sehr. Ich habe nun den Märchen-
band fertiggestellt.“
Der Märchenband ist natürlich die Sammlung der Geschichten des Rabbi Nach-
man. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich Buber selbst im März und Ap-
ril 1906 sein Werk bei Hugo von Hofmannsthal und Fritz Mauthner vorstellt. Bei
Hofmannsthal zitiert er einen mystischen Spruch und betont die Verwandtschaft
zwischen „Eckhart, den Upanishads und dem Chassidismus“ , während er bei dem
Philosophen Mauthner betont, dass er in der Einleitung „einiges Sprachkritische aus
der Kabbala und dem Chassidismus“ anführen würde und zitiert hier zur Illustra-
tion einen Vers aus dem Sohar. Sein Großvater Salomon beschwert sich dagegen im
Buber, Mein Weg, S. 18–19.
Buber, Briefwechsel 1, S. 233.
Ebd., S. 238.
Ebd., S. 239.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519