Page - 169 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Martin Bubers Weg zum Chassidismus 1
offensichtlich die Hälfte der Arbeitslast trägt und eigenständige Motive gestaltet.“
Eindeutig wird dies durch den erhaltenen Briefwechsel belegt : „Ich will das Manu-
skript spätestens am 10. abschicken. Ich selbst arbeite in einem fort. Aber auch Dich
möchte ich sehr bitten, in den nächsten Tagen noch ein paar zu machen […]. Ferner
schicke ich Dir morgen noch eine Geschichte : Die drei Lehren, die ziemlich farbig
ist, deren Motive aber, wie bei so vielen Geschichten, recht roh sind und unbedingt
veredelt werden müssen […]. Wenn es Dir möglich ist, würde ich Dich bitten, diese
vier so zu bearbeiten, dass ich sie am 10. hier habe […]. Ob Du noch daraus etwas
machen kannst, aufhellen, erhöhen, Deine eigene Natur über das engherzige Zeug
ergießen, das lasse ich Dir zu entscheiden. Schreibe mir umgehend Deine Meinung,
und, was Du daran tun willst und kannst, daran geh bitte so schnell, als es Dir mög-
lich ist […]. Wenn Du den ‚Engel‘ und ‚Saul und David‘ gemacht hast, so hast Du
15–16 beisammen, und ich werde ebensoviel haben.“ Ein paar Tage später wird
Buber schon unruhig und ermahnt Paula, da er in Zeitdruck ist : „Aber was ist denn
mit Deinen Geschichten ? Ich habe die erste noch immer nicht bekommen, und in
fünf Tagen muss ich doch das Manuskript abschicken !“
Erst Jahrzehnte später wird Paula Bubers Mitarbeit bekannt. Der Erfolg der beiden
Nacherzählungen ermöglicht es Buber, seine Familie aus Wien nach Berlin zu holen,
wo er im Laufe der nächsten Jahre zum „Zaddik von Zehlendorf“ wird. Die Sprache
und übernatürlichen Bilder der Legende des Baalschem kehren in Paula Bubers ersten
eigenen Büchern (veröffentlicht unter dem Pseudonym Georg Munk) wie Die unech-
ten Kinder Adams (1912) oder Irregang (1916) wieder : „Da der Herr das Menschen-
paar aus seinem Garten gestoßen hatte, blendete die Mühsal und Not die Erde ihre
Augen gegeneinander. Also dass in jungen Tagen und in den Zeiten ihrer Reife der
Mann sich oftmals von dem großen Weibe wandte, das erdfarben und breitmächtig,
wie das verhasste Land, um das sich seine Fäuste mühten, neben ihm lagerte in den
kalten Nächten. Mit den Armen seiner Sehnsucht griff er alsdann in die starren Lüfte,
entriß der Dunkelheit eine ihrer blanken, geschmeidigen Töchter und zwang sie auf
sein Bett.“
Martin Buber wird jedoch in seinen nächsten chassidischen Werken völlig andere
Wege einschlagen. Für den Band Das verborgene Licht sammelte er kurze Anekdoten
und Sprüche und übersetzte sie ohne manieristische Erweiterungen. In seiner be-
Sieglinde Denzel und Susanne Naumann, „Am lebendigen Wasser. Paula Buber“, in : Esther Röhr (Hg.) :
Ich bin was ich bin. Frauen neben großen Theologen und Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, Güters-
loh 1997, S. 88.
Martin Buber an Paula Buber-Winkler, Berlin 1.12.1906, in : Buber, Briefwechsel 1, S. 249–250.
Buber, Briefwechsel 1, S. 251.
Georg Munk, Geister und Menschen, München 1961, S. 11.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519