Page - 177 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit 1
nicht ?) wahrgenommen wird, wobei der Grund, vermutet man Absicht dahinter,
denn sowohl an Qualität, wie auch an Quantität und Strahlkraft dürfte es auf keinen
Fall als zu vernachlässigende Erscheinung außer Acht gelassen werden, eben mit deren
Thesen zu tun haben wird, die durch jenes „Kapitel“ nämlich beinahe zu hundert Pro-
zent keine Stütze finden würden.
Teilweise gäbe es noch eine „Kompatibilität“ mit einer weiteren, dritten Theo-
rie, die Abraham Novershtern in seinem sehr umfangreichen, bisher leider nur auf
Hebräisch vorliegenden Werk Kesem haDimdumim. Apokalipsah uMeshihiyut beSifrut
Yidish („Zauber der Dämmerung. Apokalypse und Messianismus in der jiddischen
Literatur“) entwickelt und die ebenfalls nur funktioniert, wenn man sehr selektiv bei
der Auswahl von literarischen Belegen vorgeht. Er vertritt – in totalem Gegensatz zu
Roskies (aber auch zu Miron) – die Ansicht, das Fasziniertsein und Angezogenwerden
vom Apokalyptischen sei der Grundzug der jiddischen Literatur.
Die jiddische Literatur war zwischen den beiden Weltkriegen schon über die ganze
Welt verbreitet und hatte eine thematische und poetisch-literarische Vielfalt aufzu-
weisen, die alle möglichen Inhalte einschließt – u. a. auch alle oben erwähnten ; doch
als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ lassen sich tatsächlich nur die beiden von mir
postulierten Grundthemen nachweisen. Diese Gemeinsamkeiten schließen allerhand
Lokalkolorit in thematischer und teilweise sprachlicher Hinsicht nicht aus, was auch
für die Wiener jiddische Kultur gilt, deren Vertreter zumeist um die Zeit des Ersten
Weltkriegs aus Galizien oder der Bukowina in die Hauptstadt kamen. Sie stellt mit
ihrer Literatur, ihren Zeitungen und Zeitschriften, Theaterveranstaltungen, Verlagen,
auch mit einer regen Übersetzungstätigkeit ins Jiddische und so fort ein vielgestaltiges
Kapitel der jiddischen und gleichzeitig auch der österreichischen Kulturgeschichte
dar und ist noch längst nicht gebührend erforscht.9
Abraham Novershtern, Kesem haDimdumim. Apokalipsah uMeshihiyut beSifrut Yidish, Jerusalem 2003.
Einen guten allgemeinen Eindruck darüber vermittelt Melech Rawitsch in seinem ausschnittsweise auch
auf Deutsch erschienenen Geschichtenbuch meines Lebens, Salzburg 1996. Hier eine kurze biografische
Skizze von Melech Rawitsch : Geboren als Sacharja-Chana Bergner 1893 in Radymno (Galizien) ; ge-
storben 1976 in Montreal (Kanada). Ab 1910 Bankangestellter – erst in Lemberg und dann in Wien, wo
er 1912–1921 lebte. Im Ersten Weltkrieg Soldat. 1921, inzwischen Vater zweier Kinder, übersiedelte er
nach Warschau, das damals eines der Hauptzentren der jiddischen Literatur war. In Warschau gehörte
er mit Perez Markisch und Uri Zvi Grinberg zur Schriftstellergruppe „chaljasstre“. Arbeitete als Sekretär
des jiddischen Schriftstellerverbandes (250 Mitglieder). 1934 verließ er Polen, lebte 1936–1938 in Mel-
bourne (Australien). Ab 1941 in Montreal, wo er – mit Unterbrechung durch zwei Israel-Aufenthalte
(1950 und 1954–1956) – bis zu seinem Tode blieb. (Angaben nach : Siglinde Bolbecher und Konstantin
Kaiser, Lexikon der österreichischen Exilliteratur, Wien 2000, S. 531 f.)
Obwohl es neben mehreren Publikationen dazu auch zwei Kongresse gab, die sich ausschließlich diesem
Kapitel widmeten :
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519