Page - 206 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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0 Karin Wagner
liches Kunstleben und kreidete den Institutionen, in deren Hand die Aufführungen
der Stadt lagen, Streben nach Unterhaltung und Befriedigung der Masse an. Diesem
Umstand mit einer Reform des öffentlichen Musiklebens entgegenzuwirken, kam für
Kauder nur einem Beiwerk gleich, vielmehr sah er eine wirkliche Chance zur Ände-
rung allein in einer neu orientierten „Wahrhaft künstlerischen Erziehung“ und in der
Heranbildung von Personen, welche „Von wahrer Ehrfurcht vor den geistigen Werten
erfüllt und sich ihrer Verantwortlichkeit diesen gegenüber voll bewusst“ wären. Im
Vorhandensein dieser „inneren Vorbedingungen für ein wahrhaftes Kunstleben“ wür-
den sich „aus ihnen alle äußeren mit Notwendigkeit von selbst ergeben“. Diese Äu-
ßerungen Hugo Kauders, der 1928 Musikpreisträger der Stadt Wien war, lassen in
ihrer Wortwahl Assoziationen mit der Diktion Arnold Schönbergs zu, dessen Refle-
xion zur Musikästhetik und selbst zum Kompositionsvorgang von „Wahrhaftigkeit“
oder der Qualität einer „inneren Notwendigkeit“ als Ausdruck einer Stimmigkeit der
Fügung durchdrungen waren. Für Schönberg und Kauder war das Streben nach
„Wahrheit“, nach „Aufrichtigkeit“ und nach „Verantwortung“ dem eigenen Handeln
und dem Kunstwerk gegenüber ein Ideal in der kritischen Kunstbetrachtung und im
künstlerischen Schaffensprozess. Hugo Kauders Musiksprache ist jener der Zweiten
Wiener Schule fern, die Auseinandersetzung mit der Moderne war für ihn jedoch
ebenso notwendig. Schwer konnte Kauder, der 1919 etwa über die Konzert-Mitwir-
kung als Bratschist unter dem Dirigat Schönbergs auch dem „Verein für musikalische
Privataufführungen“ nahe stand, einer komponierenden Gruppe zugeordnet werden
– Richard Specht beschrieb ihn im Jahr 1921 : „Noch ist von vielen zu sprechen, die
nicht so dezidiert zu gruppieren sind ; […] Ich denke zunächst an den jungen Georg
Széll, […] ; den feinen Hans Gál, […]. An Hugo Kauder, der, so scheint es, noch zu
viel mit sich zu tun hat, um sein Eigenstes ganz auslegen zu können, aber in dessen
Kammerwerken Echtheit, Sehnsucht nach gelöstem Widerstreit des Innern und tiefe
Demut vor der Kunst zu spüren ist.“ 1920 sah Kauder selbst den Weg einer künfti-
Hugo Kauder, „Vom Wiener Musikbetrieb“, in : Musikblätter des Anbruch. 1920/3, S. 114.
Brigitte Ott, Die Kulturpolitik der Gemeinde Wien 1919–1934, Phil. Diss., Wien 1968, S. 26.
Vgl. dazu Alexander L Ringer, Arnold Schönberg, Stuttgart, Weimar 2002. Hierin vor allem „Wort und
Bild“ und „Der kategorische Imperativ“. Vgl. dazu Schönberg, Arnold : Stil und Gedanke, Frankfurt am
Main 1995. Hierin vor allem „Das Verhältnis zum Text, Herz und Hirn in der Musik und Komposition
mit zwölf Tönen“.
Konzert des Vereins für musikalische Privataufführungen, 6. Juni 1919. Neben anderen : Hugo Gottes-
mann, Violine ; Hugo Kauder, Viola ; Eduard Steuermann, Klavier ; Olga Novakovits, Klavier ; Ernst
Bachrich, Klavier ; Arnold Schönberg, Dirigent. Programmarchiv Wiener Konzerthaus : http ://konzert-
haus.at/archiv/datenbanksuche/.
Richard Specht, „Neue Musik in Wien“, in : Musikblätter des Anbruch. Sonderheft Wien, 1921/13–14,
3. Jg., S. 256.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519