Page - 274 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Michaela Raggam-Blesch
Sonia Wachsteins Eintritt in das bür-
gerlich geprägte Hietzing Gymnasium ini-
tiierte ebenfalls einen Konflikt zwischen
der Welt ihres dem Judentum verbunde-
nen Vaters und des säkularisierten Umfel-
des der Schule. In ihren Memoiren illust-
riert sie diesen Prozess : „In fact, with my
entry into Gymnasium, a conflict arose
in my heart and soul, connected with this
problem. In school, amongst my friends,
most of whom were also of Jewish origin,
a slight anti-Semitism handed down by
their families was obvious, in tune with
that of the rest of the population. Of
course, like the rest of the people, their
animosity was directed at the ,Ostjuden‘,
the Jews who had fled from the eastern
provinces of the old Empire and had set-
tled in Vienna, particularly in the second
district, ,Leopoldstadt‘. […] They served
well as scapegoats in the rising economic
misery and despair. As for me, I fought on two sides. When my friends in school in
the least identified with these prejudices, I could not let it pass. I tried to stand up for
the ,Polish‘ as they were called and revealed that my father and his relatives were also
of Galician origin. […] My sensitivity to the existing prejudices among my school
friends and my readiness to go to battle was turned completely around at home with
my family. As I so greatly identified with German literature and was appreciative of
the language I was born into, I thought I had to resist my father’s extreme concentra-
tion on the Jews.“
Sonia Wachsteins Identifikation mit ihrem ostjüdischen Hintergrund angesichts
der abwertenden Zuschreibungen ihrer Schulkolleginnen zeugt vom Einfluss ihres
Elternhauses, in dem eine stark positiv gelebte jüdische Identität vermittelt wurde.
Gleichzeitig wandte sie sich im familiären Kontext gegen die Haltung ihres Vaters,
dem jüdischen Historiker Bernhard Wachstein. Ihre Identifikation mit den deutschen
Kulturidealen sowie ihr späteres Germanistik- und Anglistikstudium können daher in
gewisser Weise auch als Antithesen zur Allgegenwart jüdischer Themen in ihrem El-
Sonia Wachstein, Hagenberggasse 49, S. 24–25.
Abb. 3: Die Geschwister Max und Sonia Wachstein,
um 1914. Bildquelle : James Monaco (2001 Estate of
Sonia Wachstein)
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519