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0 Elisabeth Malleier
Zu den jüdischen Mitgründerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung gehörten in
der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geborene Frauen wie Ottilie Bondy
(1832–1920), Regine Ulmann (1847–1939) und Ernestine Federn (1848–1930). Auch
ihre Töchter waren in diversen Frauenorganisationen aktiv. Ottilie Bondys Tochter
Helene (1868–1954) arbeitete im „Wiener Hausfrauenverein“, den ihre Mutter ge-
meinsam mit Johanna von Meynert und Adolf Taussig 1875 ins Leben gerufen hatte,
mit und gründete nach ihrer Heirat den „Münchner Hausfrauenverein“. Regine Ul-
manns Töchter arbeiteten im von ihr mit 19 Jahren mitgegründeten „Mädchen-Un-
terstützungs-Verein“, und die Töchter Ernestine Federns engagierten sich auf sehr
unterschiedliche Weise für die Belange der Frauen : Etta Federn (1883–1951) als An-
archosyndikalistin in Deutschland und im Spanischen Bürgerkrieg und Else Federn
(1874–1946) als Gründerin und Leiterin des „Ottakringer Settlement“, eines von der
berühmten Londoner Toynbee-Hall inspirierten Sozialprojekts in einem Wiener Ar-
beiterInnenbezirk.
Nicht selten wurden auch Brüder und Ehemänner für die Belange der Frauenbewe-
gung aktiviert, wie dies beispielsweise bei Ernestine Federn und Ernestine von Fürth
der Fall war. Umgekehrt kam es auch vor, dass ein Förderer der Frauenbewegung seine
weiblichen Familienangehörigen zu mobilisieren wusste. Ein Beispiel dafür ist Baron
Otto von Springer, ein Gründungsmitglied des aöFV, der nicht nur selbst spendete,
sondern auch seine Mutter Amalia Todesco und seine Halbschwester Franziska Wert-
heimer zu Spenden an den aöFV animierte. In den „Dokumenten der Frauen“, einer
feministischen Zeitschrift der Jahrhundertwende, schrieben gelegentlich auch Autoren
jüdischer Herkunft wie Julius Ofner, Alfred Polgar, der Linkszionist Samuel R. Landau
und der Jurist Fritz Winter.
Eine zentrale Rolle spielten Feministinnen jüdischer Herkunft in der Frauenbe-
wegungspresse. Als Herausgeberinnen, Redakteurinnen und Autorinnen waren sie in
den bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestehenden Zeitschriften, dem Bund, dem
Organ des gemäßigten Flügels, als auch im Neuen Frauenleben des radikalen Flügels der
bürgerlichen Frauenbewegung präsent.9 Ernestine von Fürth (1877–1946) war neben
ihren Aktivitäten in diversen Frauenstimmrechtskomitees auch die Herausgeberin der
Elisabeth Malleier, Das Ottakringer Settlement. Zur Geschichte eines frühen internationalen Sozialprojekts,
Wien 2005.
Siehe dazu auch : Harriet Anderson, „Mir wird es immer unmöglicher, ‚die Männer‘ als die Feinde der
Frauensache zu betrachten […]“. Zur Beteiligung von Männern an den Bestrebungen der österreichi-
schen Frauenbewegungen um 1900, in : Heide Dienst, Edith Saurer (Hg.) „Das Weib existiert nicht für
sich“, Geschlechterbeziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft, Wien 1990, S. 189–201.
Ausführlicher dazu siehe : Elisabeth Malleier, „Die Rezeption der Frauenbewegung in der Wiener jüdi-
schen Presse vor 1938“, in : Wiener Geschichtsblätter, Nr. 3, 2005, S. 63–73.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519