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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Page - 394 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus

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Wolfgang Müller-Funk ja nicht einmal mehr in der wahren und weisen Tradition.“ Sie leben in einer inne- ren Diaspora, bevor die äußere ihnen zum Schicksal wird. Und in dem ihm eigenen melancholischen Pathos fügt Roth prophetisch hinzu : „Die Ostjuden haben nirgends eine Heimat, aber Gräber auf dem Friedhof.“ Der Zerfall des Ostjudentums wird durch den der Monarchie beschleunigt. Denn in dem neuen postimperialen Zentraleuropa nach 1918 ist erst recht kein Platz für eine Gruppe, die, anders als die in der Habsburgermonarchie triumphierenden Na- tionalismen, nicht nach dem Territorialitätsprinzip organisiert ist, keinen geschlosse- nen kulturellen „Lebensraum“ besitzt. Aus dieser Besonderheit erklärt sich Roth die Anziehungskraft des Zionismus. Die Essaysammlung liest sich wie eine Explikation, wie ein Kommentar zum Hiob und zum Leviathan. Klassische Identitätskonzepte sind Roth, dem programmatisch Heimatlosen, dem realen und symbolischen Nomaden, durchaus fremd. Dem Vorwurf, selbst ein As- similant zu sein, hält er trotzig eine kritische Deutung des Zionismus entgegen, die diesen eben als eine Nachahmung des europäischen Nationalstaatsmodells und damit als eine strukturelle Anpassung an einen mit Grillparzer als unheilvoll angesehenen Nationalismus deutet. Diese Ambivalenz des zionistischen Projekts steigert sich für Roth angesichts des kul- turellen und politischen Kontextes, in dem diese reale und symbolische Wiederaneignung Palästinas stattfindet : „In Palästina vollzieht sich tatsächlich eine nationale Wiedergeburt. Die jungen Chaluzim sind tapfere Bauern und Arbeiter, und sie beweisen die Fähigkeit der Juden zu arbeiten und Ackerbau zu treiben und ein Sohn der Erde zu werden, obwohl er jahrhundertelang ein Buchmensch war. Leider sind die Chaluzims auch gezwungen zu kämpfen, Soldaten zu sein und das Land gegen die Araber zu verteidigen. Und damit ist das europäische Beispiel nach Palästina übertragen. Leider ist der junge Chaluz nicht nur ein Heimkehrer in das Land seiner Väter und ein Proletarier mit dem gerechten Sinn eines arbeitenden Menschen, sondern er ist auch ein ,Kulturträger‘. Er ist ebenso Jude wie Europäer. Er bringt den Arabern Elektrizität, Füllfedern, Ingenieure, Maschinenge- wehre, flache Philosophien und den ganzen Kram, den England liefert.“ 9 Sehen wir einmal von den für Roth charakteristischen Invektiven gegen die angel- sächsische kapitalistische Kultur, in denen sich eine linke Kapitalismuskritik mit einer konservativen Kulturkritik verbinden, ab, so ergibt sich ein durchaus zwiespältiges Bild der Situation. Die Juden, die „kein anderes Land wirklich will“, haben keine Ebd., S. 295. Ebd. Joseph Roth, Grillparzer, Das journalistische Werk, 3, Köln 1990, S. 742–751. Roth, Juden auf Wanderschaft, S. 303.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Subtitle
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Author
Frank Stern
Editor
Barabara Eichinger
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
558
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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