Page - 400 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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00 Klaus Hödl
Voraussetzung dafür ist, dass es für statisch gehalten wird. Andernfalls wäre es nicht
beschreibbar. Es ist letztlich das Ergebnis essenzialistischen Denkens.
Demgegenüber ist es schwieriger, falls überhaupt möglich, das, was durch Prakti-
ken ausgedrückt wird, zu fixieren. Handlungen können nie in Perfektion repliziert
werden und somit etwas in exakt gleicher Weise wiederholen. Wenn sie etwas Jü-
disches artikulieren, dann zeigt sich dieses bei jedem Handlungsvorgang anders, es
ändert sich stetig. Seine Bedeutung kann lediglich für den Zeitpunkt, zu dem es
hervorgebracht wird, umschrieben werden. Das Jüdische erweist sich dabei nicht als
etwas Ontologisch-Gleichbleibendes, sondern als flüchtig ; das heißt nicht, dass es
sich verflüchtigt. Aber gleich wie Praktiken, so wandelt es sich unaufhörlich.
Methodischer Ansatz
Die Frage, wie „Judesein“, jüdische Identität, etc. beschrieben werden können, wenn
nicht auf textuelle Quellen zurückgegriffen wird, steht im Mittelpunkt der vorliegen-
den Ausführungen. Sie stellen keine kohärente Erzählung über jüdisches Leben in
Wien um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert dar, sondern
einen methodischen Ansatz zu dessen Erforschung vor. Es wird an Faschingsfeiern
zu zeigen und darzulegen versucht, wie und warum jüdische Existenz mit einem per-
formativen Ansatz, bei dem das Hauptaugenmerk auf Handlungen gerichtet wird,
untersucht werden kann und soll. Es geht nicht um die Deutung von statischen kul-
turellen Manifestationen, von kulturellen Produkten und Werken wie Texten, son-
dern von Praktiken, durch die auch Jüdischsein, eine Identifizierung mit dem Juden-
tum, artikuliert wird.
Das Plädoyer für eine verstärkte Anwendung des performativen Ansatzes gründet
sich nicht auf der Annahme, dass eine Fokussierung auf das Textuelle – statt auf das
Performative – falsch wäre, sondern liegt u. a. in dem Umstand, dass Letzterem von
Geschichts- und KulturwissenschaftlerInnen bisher nicht genügend Beachtung ge-
schenkt worden ist. Mit einer nachhaltigen Zuwendung zu ihm könnten vernachläs-
sigte Aspekte jüdischer Geschichte aufgearbeitet sowie bereits vorliegende Ergebnisse
komplettiert oder, je nach Ausgang der Forschungen, hinterfragt werden. Zum ande-
ren drückte sich das Selbstverständnis der Gesellschaft im ausgehenden neunzehnten
und frühen zwanzigsten Jahrhundert verstärkt in performativen Aktivitäten aus.
Ein performativer Ansatz trägt diesem Phänomen Rechnung.
Erika Fischer-Lichte, Ästhetische Erfahrung. Das Semiotische und das Performative, Tübingen 2001, S. 10–
17.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519