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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Page - 404 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus

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0 Klaus Hödl Das „jüdische Christkindl“ In der jüdischen Wochenzeitschrift Die Wahrheit erschien im Februar 1899 eine kurze Notiz über ein „Costümfest“ des interkonfessionellen Vereins „Leopoldstädter Kin- derschutz“. Bei einer schnellen Lektüre könnte man es als ein anschauliches Beispiel jüdischer Akkulturation verstehen : Juden verkleiden sich, um gemeinsam mit Nicht- juden Fasching zu feiern, und missachten dabei u. a. ihre religiösen Speisegesetze. Bei näherer Betrachtung stellen sich allerdings Zweifel an dieser Beurteilung ein. Die beschriebenen Praktiken erweisen sich als zu vielschichtig und teilweise widersprüch- lich, als dass sie als kulturelle Adaptation ausgelegt werden könnten. Ihre möglichen Bedeutungsebenen sollen im Folgenden mithilfe eines performativen Ansatzes er- forscht werden. In der Mitteilung heißt es u. a., dass bei dem Kostümfest „eine jüdische Dame die Geschmacklosigkeit [hatte], sich als ,Christkindl‘ zu costümieren und mit einem Christbaume in der Hand im Ballsaale zu erscheinen. Wenn schon diese Geschmack- losigkeit an und für sich manche abfällige Aeußerung provocirte, so ist noch mehr das Ballcomité zu tadeln, welches die Taktlosigkeit begieng, beim Einzuge der Cos- tümgruppen in den Ballsaal das jüdische ‚Christkindl‘ an die Spitze zu stellen. […] Die Protectorin (Gräfin Kielmannsegg ; K. H.), die trotz ihrer interconfessionellen humanitären Thätigkeit stets die größte Pietät für ihre Religion bewahrt hat, hätte als Christin darin eher eine Profanation ihres Glaubens erblickt.“ Die zentrale Aussage der zitierten Passage lautet, dass sich eine jüdische Frau als Christkind maskiert und damit nichtjüdische wie auch einen Teil der jüdischen Festgäste irritiert. Was sie mit der Verkleidung ausdrücken will, ist dem Text nicht zu entnehmen und muss gedeu- tet werden. Dessen Kenntnis ist für die Bestätigung oder Widerlegung der These, dass der Auftritt des Christkindes keinen Akt der Akkulturation darstellt, zentral. Für die weitere Untersuchung ist der Umstand wichtig, dass das Kostümfest weder im jüdischen kulturellen Milieu noch im nichtjüdischen kulturellen Kontext statt- findet. Stattdessen bildet es eine Sphäre, die trotz des mehrheitlich jüdischen Anteils an den Veranstaltungsteilnehmern zwischen den beiden kulturellen Feldern liegt. Die Religiös konservative Vereine, wie beispielsweise der „Kranken-Unterstützungs- und Humanitätsverein Gomle Chesed“, sahen von solchen Feiern ab. Der genannte Verein fühlte sich bemüßigt, an die Oester- reichische Wochenschrift ein Schreiben zu richten, in dem er bekannt gibt, dass er im Hotel Continental nicht, wie irrtümlich annonciert, ein Kostümfest veranstalten werde. Gomle Chesed weist darauf hin, dass er prinzipiell keine entsprechenden Veranstaltungen abhalten könne, da die Wiener Judenschaft keine eigene Lokalität für humanitäre, wissenschaftliche und politische Zwecke besitze, die rituellen Anforderungen entspreche. Siehe Oesterreichische Wochenschrift 4, 1899, S. 77–78. Die Wahrheit 9, 1899, S. 4.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Subtitle
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Author
Frank Stern
Editor
Barabara Eichinger
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
558
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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