Page - 431 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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„Schund“, „Jargon“ und schöner Schein 1
Darüber hinaus ist Hallers Beschreibung/Auseinandersetzung auch ein deutlicher
Beleg von Gershon Shakeds These der „Verinnerlichten Vorurteile“, die in den Wer-
ken mancher deutschsprachig-jüdischer Autoren zu finden sind.
In Zusammenhang mit „Jargon“ aber stellt sich die Frage, wie die Theaterleute in
ihren Produktionen mit dem Jiddischen bzw. dem „Jüdeln“ umgingen – eine Frage,
über die, da es keine phonetischen Quellen der betreffenden Theater gibt und sich in
den Kritiken und Beschreibungen nur wenig Hinweise finden, großteils nur speku-
liert werden kann. Um 1900 passten die jiddischen Schauspieler und Ensembles ihr
Jiddisch bei Bedarf durchaus dem Auftrittsort an ; es ist daher möglich, ja sogar wahr-
scheinlich, dass hier ein sehr „durchwachsenes“ und keinesfalls „reines“ Ostjiddisch
zu hören war. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es Bestrebungen, die jiddische Sprache
in möglichst anspruchsvoller Form ertönen zu lassen, etwa von der Freien Jüdischen
Volksbühne (1919 bis 1923).9
Die (zum Teil nur scheinbare) Nähe zwischen Jiddisch und Deutsch (die heute noch
Deutschsprachige dazu verführt, anzunehmen, sie könnten ohnehin Jiddisch), diese
Nähe, oder auch der schwierige Stand, den die jiddische Sprache in Wien hatte, spiegelt
sich auch in den wenigen gedruckten Materialen, die überliefert sind. Man kann sie
durchaus als sprachlich „oszillierend“ bezeichnen, diese Programmzettel und Plakate,
die meist in Deutsch gedruckt wurden, teilweise in sehr gewagten Transkriptionen.
„Schund“
„Schund“ : „Wertloses, Minderwertiges“ 0. Auffällig ist, dass – genau wie „Jargon“
– der Begriff „Schund“ eine Abwertung und Distanzierung bereits beinhaltet. Der
Begriff „Schund“ wird etwa seit 1900 in Zusammenhang mit Kultur gebracht, näm-
lich der populären Kultur, wie sie seit dem achtzehnten Jahrhundert entstand und um
1900 zunehmend zu einer „Massenkultur“ wurde. „Schmutz- und Schundliteratur“
zur Unterhaltung der „niedrigen“ Massen wurde der sogenannten „Hochkultur“ oder
ernsthaften Kunst, mit der sich der gute Bürger beschäftigte bzw. von der er sich
unterhalten ließ, gegenübergestellt. Diese Debatte um „Schund und Schönheit“, wie
sie in Zusammenhang mit der populären Kultur um 1900 geführt wurde, hat einer-
Vgl. Dalinger, Trauerspiele mit Gesang und Tanz, S. 51f.
Zur Geschichte des jüdischen Theaters in Wien vgl. Brigitte Dalinger, Verloschene Sterne. Ge-
schichte des jüdischen Theaters in Wien, Wien 1998.
0 Bertelsmann, Die deutsche Rechtschreibung, Gütersloh, München 1999, S. 797.
Zum Thema Populärkultur und Schund-Debatte vgl. etwa Kaspar Maase, Wolfgang Kaschuba (Hg.),
Schund und Schönheit. Populäre Kultur um 1900, Köln, Weimar, Wien 2001.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519