Page - 435 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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„Schund“, „Jargon“ und schöner Schein
„Schöner Schein“
Die jiddischen Theater seien ein sozialer Raum gewesen, ein Treffpunkt für „lands-
leyt“ und eine Anlaufstelle für SchauspielerInnen und ImmigrantInnen bzw. Durch-
wandererInnen aus Osteuropa, wurde eingangs behauptet. Dies kann jedoch nicht
der einzige Grund gewesen sein, aus dem die jüdischen Bühnen ihr Publikum hatten.
„Theater“ und „ins Theater gehen“ stehen auch für Flucht aus dem Alltag, für das
Verlangen nach einer Illusion, nach Utopien und nach „Glanz und Glamour“, für die
Sehnsucht nach einer „anderen“ Welt. Welche Form von „schönem Schein“ findet
sich nun im jüdischen Theater ? In welchem Rahmen war das Zeigen einer positiven
Welt bzw. von Bühnenglamour überhaupt möglich ?
Räumlich und finanziell waren die jiddischen Ensembles und ihre jeweiligen Auf-
führungsorte – der Saal des Hotels Stefanie, das Theater im Nestroyhof, die Keller-
bühne in der Unteren Augartenstraße, die die Freie jüdische Volksbühne eine Zeit
lang bespielte – äußerst bescheiden. Perfekte Illusionen konnten schon aufgrund der
räumlichen und finanziellen Bedingungen nicht geboten werden, der „Glamour“-
Faktor beschränkte sich auf einige wenige weibliche Stars, die in diesen Theatern
„gastrolirten“, d. h. kurzzeitige Gastspiele gaben und die Kritiker zu geradezu schwär-
merischen Kritiken hinrissen (Henriette Schnitzer in den frühen Zwanzigerjahren,
Sevilla Pastor in den Dreißigerjahren).
Dennoch, trotz des Verlangens der Mehrzahl des Publikums nach populären Melo-
dramen und Operetten und der räumlichen und finanziellen Enge, gab es engagierte
Versuche, das Niveau der jiddischen Theater in Bezug auf Spielplan und Sprache zu
heben. Besonders die Initiatoren der Freien jüdischen Volksbühne – Isaak Deutsch,
Egon Brecher, Paul Baratoff – setzten sich für ein anspruchsvolles Repertoire in ge-
hobenem Jiddisch ein, das in gepflegten Inszenierungen gezeigt wurde. Das Ensemble
der Freien jüdischen Volksbühne schaffte es so bis auf die Bretter des Theaters in der
Josefstadt, wo es 1921 gastierte (um sich in den folgenden Saisonen aufzulösen).
Die Suche nach einer eigenen Ästhetik gelang in Ansätzen und konnte so auch
punktuell die Enge der jüdischen Theaterwelt und ihres spezifischen Publikums über-
winden. Ermöglicht wurde das Bestreben nach einem besseren jüdischen Theater
zweifellos auch aufgrund des Einflusses allgemeiner Entwicklungen der Theaterwelt,
sowohl der österreichischen und deutschen als auch der jüdischen. Um nur wenige
Vgl. „Frauen im jiddischen Theater in Wien. Von der ,Chansonette in chassidischen Hosen‘ bis zum
gefeierten ,Star‘“, in : Zions Töchter. Jüdische Frauen in Literatur, Kunst und Politik, hg. v. Andrea M.
Lauritsch (Edition Mnemosyne, Bd. 14), Wien 2006, S. 247–258, S. 256f.
Vgl. Dalinger, Verloschene Sterne, S. 46ff.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519