Page - 446 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Birgit Peter
Max Reinhardt erinnert sich an ihn : „Sonnenthal ! Wie er auf der Bühne Scho-
kolade trank – wie er seinen Hut auf die Erde stellte – das war so eindrucksvoll,
dass es immer sofort von der an sich schon eleganten Aristokratie angenommen und
als Regel anerkannt wurde.“ Pauline Fürstin von Metternich, bedeutende Wiener
Theater-Mäzenatin und Sammlerin Wiener Theatergeschichte, lud ihn privat ein,
um ihrer Familie und befreundeten Aristokraten eine Benimmschule angedeihen zu
lassen. Dies ist in zweifacher Hinsicht äußerst bemerkenswert. Erstens lässt sich da-
ran ablesen, welche Bedeutung Sonnenthal für die Anerkennung des Berufsstandes
Schauspieler hatte – nicht nur auf der gesellschaftlichen Ebene, sondern auch auf der
institutionellen, war er doch erster Präsident des Verbands österreichischer Schau-
spieler. Zweitens schaffte er es, als jüdischer Schauspieler höchste gesellschaftliche
Anerkennung zu erlangen, ja tonangebend für den Stil Wiener Eleganz zu werden.
Dies ist umso bemerkenswerter, da Sonnenthal ganz offen zum Judentum stand. In
der Biografie von Ludwig Eisenberg findet sich folgende Passage aus der Jugendzeit
Sonnenthals in Budapest : „1848 gab es einen schnell erstickten Judenkrawall. Son-
nenthal ergriff damals ein Beil und warf an der Spitze einer kleinen Schar eine Rotte
von trunkenen Plünderern vom Hause seiner Eltern zurück.“ Diese mutige Haltung
hatte Sonnenthal auch als Burgtheaterstar beibehalten. Eisenberg schildert einen Vor-
fall während Sonnenthals Russland-Tournee 1889. Nach bereits erfolgreich absol-
vierten Auftritten in Moskau und St. Petersburg wollte der Polizeipräsident von Riga
Sonnenthal ausweisen lassen mit der Begründung, er sei Österreicher und Jude.
Die österreichische Botschaft intervenierte, Sonnenthal trat trotz der Androhung in
einer Rolle als Jude (Uriel Acosta) auf : „[…] und Sonnenthal gab im zweiten Akte
unter dem Jubel eines überfüllten Hauses die bekannte Erklärung ab : ‚Ihr dürft mir
fluchen, denn ich bin ein Jude !‘“
Er war aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Wien und hielt 1900 die Gedenk-
rede anlässlich des zehnten Todestages des Oberkantors von Wien, Salomon Sulzer.
Sein 50-jähriges Burgtheaterjubiläum (1906) beging er mit Lessings Nathan. Seine letzte
Rolle, an der er bis zu seinem Tod 1909 arbeitete, widmete er der zentralsten Darstellung
Max Reinhardt, „Burgtheatereindrücke“, in : Die Träume des Magiers, S. 12.
Siehe Eisenberg, Adolf Sonnenthal, S. 399.
Ebd., S. 48.
Ebd., S. 359–361.
Ebd., S. 361.
Leon Botstein, „Sozialgeschichte und Politik des Ästhetischen“ : „Das Gedenkkonzert zeigt deutlich,
dass es für Sonnenthal, Sulzer und Schenker als Mitglied der Wiener jüdischen Gemeinde kein Problem
war, eine Rolle im allgemeinen Wiener Musik- und Kulturleben anzunehmen“, in : Quasi una fantasia,
S. 44.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519