Page - 469 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Frau Breier aus Gaya meets The Jazz Singer
dann Raimund brilliert hatten und das am Ende der Zwanzigerjahre dann endgültig
seine Tore schloss.
Frau Breier aus Gaya war auf seine Art ein sensationelles Stück. Lustig, leicht, senti-
mental und sehr innovativ. Es war das gelungenste aus einer Reihe von Stücken an der
Rolandbühne, die ihren Schauplatz in der Leopoldstadt hatten und im dortigen klein-
bürgerlich-jüdischen Milieu spielten. Diese Stücke sollten Charaktere auf die Bühne
bringen, die man durchaus auch im Publikum desselben Stückes finden konnte. Alle
ZuschauerInnen sollten in ihren Familien oder in der Nachbarschaft zumindest einen
oder eine kennen, der oder die so aussah und sich so verhielt wie die Menschen auf
der Bühne. Doch die Leopoldstädter Stücke hatten noch mehr Gemeinsamkeiten :
Gisela Werbezirk spielte fast ausnahmslos starke, alleinerziehende Mütter, und die
Hauptkonflikte entwickelten sich meist zwischen der moralisch bedenklichen Groß-
stadt und der zurückgebliebenen umliegenden Provinz, namentlich Mähren, Ungarn
oder dem Burgenland. Die Konflikte wurden zumeist durch den besseren Schmäh
entschieden, und der war immer auf der Seite der großartigen Schauspielerin Gisela
Werbezirk , unabhängig davon, auf welcher Seite sie sich wiederum befand.
Das Theaterstück Frau Breier aus Gaya hatte auf die Geschichte der darstellenden
Künste natürlich nicht den denselben impact wie the JaZZ singer, der erste Ton-
film der Filmgeschichte. Aber das Stück Frau Breier aus Gaya hatte jenseits einer ur-
komischen Hauptdarstellerin, einer gutgebauten Geschichte noch einiges in sowohl
technischer als auch dramentechnischer Hinsicht zu bieten. Und die Produktion wies
neben der Tatsache, dass sich die Zuschauer selbst oder ihre Verwandten in der Ge-
schichte wiedererkennen sollten, einige Parallelen und Differenzen zum New Yorker
JaZZ singer auf, die herauszuarbeiten im Rahmen dieses Sammelbandes Sinn ma-
chen.
Zum Inhalt : Frau Breier aus Gaya beginnt in Wien-Leopoldstadt, in der noblen
Wohnung des Bankiers Maurice Kron-Korn, der einst Mottche Kohn hieß und aus
der südmährischen Kleinstadt Gaya zugewandert war. Maurice ist mit einer christ-
lichen Wienerin aus ebenfalls bescheidenen Verhältnissen verheiratet. Die Konversa-
Ein Überblick über die Leopoldstädter Theaterlandschaft findet sich in meinem Aufsatz „Kasperl-Nes-
troy-Werbezirk. Kleine Archäologie einer Theaterlandschaft“, in : Werner Hanak, Mechtild Widrich
(Hg.), Wien II. Leopoldstadt. Die andere Heimatkunde, Wien 1999, S. 123–141.
Diese Dramen habe ich in meiner Diplomarbeit detailliert untersucht und beschrieben. Werner Hanak,
Leopoldstädter Ortmetamorphosen. Eine theateranalytische Reise zu den Schauplätzen der Dramen der Ro-
landbühne in den Jahren 1919 bis 1926 sowie zu den „gesprochenen Orten“ der „Leopoldstädter Jüdischen
Lokalpossen“. Wien 1994.
Vgl. Birgit Peter : „Komische Strategien – Weiblicher Witz. Die Schauspielerin Gisela Werbezirk – weib-
licher/jüdischer/österreichischer Witz ?“, in : Monika Bernhold, Andrea B. Braidt, Claudia Preschl (Hg.),
Screenwise. Film – Fernsehen – Feminismus, Marburg 2004, S. 125–130.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519