Page - 218 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Image of the Page - 218 -
Text of the Page - 218 -
hatte sich zwischenzeitlich der Aufgabenbereich, die Methodik und das Selbst-
verständnis der Behörde vollkommen gewandelt. Um diese Veränderung nach-
zuzeichnen, bedarf es einer kurzen Darstellung der Situation im 18.
Jahrhundert.
4 2 1 Habsburgische Bücherzensur in den lombardischen Gebieten vor 1797
Wie auch in Wien oblag die Zensur in der österreichischen Lombardei im 18.
Jahr-
hundert einer eigens dafür eingerichteten Studienkommission (Deputazione per
gli studi), die allerdings mit der Zensur in der Hauptstadt keinerlei organisatori-
sche Verbindung hatte. Ihre Aufgaben und Handlungen hingegen orientierten
sich sehr wohl an der Wiener Praxis der 1750er Jahre, die zu dem Zeitpunkt schon
klar etabliert war, zumal eine konsequente formale Regelung der Zensurtätigkeit
in der Lombardei erst Ende der 1760er Jahre in Kraft trat. Davor ist die Situation
nicht ganz eindeutig. Die ebenfalls aus Wien vertraute Übertragung der Zensur-
kompetenz von religiösen hin zu staatlichen Institutionen zeichnet sich in der
Lombardei schrittweise ab Mitte der 1750er Jahre ab; eine provisorische Zensur-
organisation existiert ab 1766; der für die nächsten Jahrzehnte maßgebliche Pia-
no della Censura de’ Libri (PCL) wird aber erst mit einem Schreiben Maria The-
resias an den Amministratore del Governo der Lombardei, Herzog Franz von
Modena, am 15.12.1768 kommuniziert. Die lange Dauer dieser Organisation war
in der Tat vor allem dem Machtkampf zwischen Kirche und Staat geschuldet, der
mit dem konservativen Pontifikat von Klemens
XIII. ab 1759 weiter zunahm. Der
Streit um die Zuständigkeiten bezog sich dabei explizit auf philosophische bzw.
theologische Argumente sowie auf die angestammte Praxis der Bücherzensur,
hatte aber durchaus auch ökonomische Gründe. Dieser Konflikt sollte sich zumin-
dest bis Ende 1771 ziehen, als der Staat der Kirche, speziell in Person des Mai-
länder Kardinal Erzbischofs Giuseppe Pozzobonelli, nach der eben erfolgten for-
malen Regelung der Bücherzensur noch ein halbherziges Angebot zur Bestellung
eines von drei theologischen Zensoren machte, was dieser jedoch ablehnte.64 In
one. Venezia: Deputazione Editrice 1989, S. 1.
64 Details dazu bei Alceste Tarchetti: Censura e censori di sua maestà imperiale nella Lombardia
austriaca: 1740–1780. In: Economia, Istituzioni, Cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa.
A cura di Aldo De Maddalena, Ettore Rotelli, Gennaro Barbarisi. Vol. 2: Cultura e società.
Milano: Il Mulino 1982, S. 741–792; Ferdinand Maaß: Vorbereitung und Anfänge des Josefi-
nismus im amtlichen Schriftwechsel des Staatskanzlers Fürsten von Kaunitz-Rittberg mit sei-
nem bevollmächtigten Minister beim Governo generale der österreichischen Lombardei, Karl
Grafen von Firmian, 1763 bis 1770. In: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 1/2
(1948), S. 289–444; sowie Anna Paola Montanari: Il controllo della stampa, „ramo di civile
polizia“. L’affermazione della Censura di stato nella Lombardia Austriaca del XVIII secolo. In:
Roma moderna e contemporanea 2/2 (1994), S. 343–378.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
218 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510