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Nur am Rande sei vermerkt, dass nicht nur der Gesprächspartner dieses Rai-
sonnement als „sacrilège“ empfindet, sondern auch der Messager die Stelle in
seinem Feuilletonabdruck weggelassen hatte.
Dem Verbot von Schmähungen regierender Persönlichkeiten widersprachen
einige Seitenhiebe auf das Julikönigtum und seine Administration, die ebenfalls
bereits dem Messager ins Auge gestochen hatten. Erwähnenswert ist auch das
von Balzac zitierte skandalöse Gerücht von einer amourösen Beziehung zwi-
schen Friedrich von Gentz und der Tänzerin Fanny Elssler.334 Neben diesen Pas-
sagen, die für ein Verbot allemal ausgereicht hätten, weist auch Balzacs Erzäh-
lung Anklänge an die Gothic Novel auf. Lousteau und sein Freund geben
Erzählungen von Ehebrüchen und der darauf folgenden Rache zum Besten, um
die ‚Muse‘ in die gewünschte Stimmung zu versetzen und sie andererseits auf
die Probe zu stellen.335
6 7 5 Eugène Sue
Eine ganze Reihe von Merkmalen, die der österreichischen Zensur missfallen
mussten, weisen auch Eugène Sues Mystères de Paris auf. Die in diesem Sozial-
roman vorgetragene Polemik gegen die Gesetze über die Prostitution, die Schei-
dung, die Schuldhaft oder die Todesstrafe und gegen Institutionen wie Gefäng-
nisse, Irrenanstalten und Krankenhäuser konnte als unbotmäßige Kritik an der
Regierung interpretiert werden. Nicht opportun waren zweifellos auch die loben-
den Hinweise auf Napoleons Idee von Tugendspionen, die komplementär zur
Bestrafung von Kriminellen besonders tüchtige und tugendhafte Personen nam-
haft machen und ihnen eine Belohnung verschaffen sollten. Die mit dem dar-
gestellten Elend der Armen kontrastierenden Bilder der „ignoble dépravation
dans l’opulence“336 (schrecklichen Verdorbenheit der im Überfluss Lebenden)
konnten mit etwas Phantasie als Aufruf zum Klassenkampf gelesen werden. In
der Szene des Mobs an der Barrière Saint-Jacques am Ende des Romans, in der
die Menge Rodolphe de Gerolstein bedroht, ist sogar von einem Mordversuch
an einem gekrönten Haupt die Rede: „Ton seigneur? dit le Squelette. Qu’est-ce
que ça me fait à moi, ton seigneur? … Je l’estourbirai si ça me plaît. Je n’en ai
jamais refroidi, de seigneurs … et ça m’en donne l’envie. Il n’y a plus de seigneurs
334 Ebd., S. 700.
335 Dafür, dass auch diese ‚gotischen‘ Elemente Anstoß bei der Zensur erregten, spricht, dass die
von Balzac in der Muse du département verarbeiteten eigenen älteren Texte, nämlich Histoire
du chevalier de Beauvoir und Le Grand d’Espagne (Contes bruns) sowie La grande bretèche, in
Österreich ebenfalls verboten waren.
336 Eugène Sue: Les Mystères de Paris. Edition établie par Francis Lacassin. Paris: Laffont 1989,
S. 820. 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteraturder 1840er Jahre 357
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510