Page - 55 - in Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie«
»Alle, die glauben, sie wĂŒĂten etwas ĂŒber mich,
wissen nichts (âŠ).«253
1983 erschien Elfriede Jelineks autobiografisch gefÀrbter Roman »Die Klavier-
spielerin«, bis heute das bekannteste Buch der Autorin, wenngleich diese be-
hauptet, es »nie so besonders geschÀtzt zu haben«254. Dennoch sei es ein Buch
gewesen, »das geschrieben werden musste, es musste einfach aus mir heraus.
Formal bin ich heute aber, nach so vielen Jahren der Arbeit, schon weiter«255.
»Die Klavierspielerin« wurde in dutzendfacher Auflage gedruckt, in zahllose
Sprachen ĂŒbersetzt und von Michael Haneke verfilmt. Es ist eines der wenigen
BĂŒcher von Elfriede Jelinek, die fast einhellig positiv kritisiert wurden. Zudem
ist es bis heute das am besten erforschte Buch der NobelpreistrÀgerin.256
In dem Roman wird die Beziehung der neurotischen Klavierlehrerin ERIKA
KOHUT zu deren autoritÀren Mutter geschildert. Die sich anbahnende AffÀre
mit einem ihrer KlavierschĂŒler könnte fĂŒr ERIKA eine Gelegenheit darstellen,
aus dem mĂŒtterlichen Ordnungssystem auszubrechen. Doch sie erstickt ihr
Aufbegehren letztlich selbst im Keim, denn mit der sexuellen Leidenschaft des
jungen WALTER KLEMMER weiĂ ERIKA, die EnddreiĂigerin, die bislang an ge-
genseitige AbhÀngigkeitsverhÀltnisse gewöhnt ist, nichts anzufangen ; am Ende
bleibt ihr nur die RĂŒckkehr in die kranke Zweisamkeit mit der alles kontrollie-
renden Mutter : »Erika weiĂ die Richtung, in die sie gehen muĂ. Sie geht nach
Hause. Sie geht und beschleunigt langsam ihren Schritt.«257
Parallelen zu der Autorinnenbiografie sind nicht von der Hand zu weisen und
wurden von Jelinek auch nie abgestritten. Obwohl sie 1974 den Informatiker
Gottfried HĂŒngsberg geheiratet hatte, lebte sie mit ihrer Mutter im Familien-
haus in Wien-HĂŒtteldorf, bis diese 97-jĂ€hrig verstarb. Heute lebt sie alleine dort.
Der Erfolg des Romans machte ihr Privatleben ĂŒber Nacht zu einem öffent-
lich diskutierten Thema. Die Analyse ihres Persönlichkeitsprofils fand nunmehr
Eingang ins Feuilleton aber auch in die SekundÀrliteratur wie zuvor bei keiner
anderen deutschsprachigen Autorin : «In fact, so much has been written about
Jelinekâs personality and beliefs that, rather like one of the figures in her novels,
253 Jelinek, zitiert nach : Winter, GesprÀch mit Elfriede Jelinek, S. 11.
254 Dies., zitiert nach : profil, Nr. 42, 2004, S. 125.
255 Ebd.
256 Vgl. Mayer/Koberg, Ein PortrÀt, S. 116 f.
257 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 285. 55
Elfriede Jelinek : AnnĂ€herungâ |
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319