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3.1.2 Formales, Setting und Plot
»Das Stück thematisiert die Kontinuitäten
des Faschismus in der österreichischen
Kunstproduktion anhand des opportunistischen
Verhaltens einer österreichischen
Schauspielerfamilie im Dritten Reich.«25
Jelineks »Burg theater«-Stück ist, so wie es heute vorliegt, in drei Teile geglie-
dert : einen ersten Teil, ein »Allegorisches Zwischenspiel« und einen zweiten
Teil. In der Erstfassung des Stücks, das erstmals 1982 in den »manuskripten«
abgedruckt wurde, fehlte das »Allegorische Zwischenspiel« noch, da Jelinek die-
ses erst nachträglich einfügte.26
Der erste Teil sowie das Zwischenspiel, das im Handlungsgeschehen direkt
an den ersten Teil anschließt, sind im Wien des Jahres 1941 situiert, drei Jahre
nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich und zwei Jahre
nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Der zweite Teil spielt 1945, kurz
vor der Einnahme Wiens durch die Rote Armee.
Der Ort der Handlung ist in allen drei Teilen die Wohnung einer Wiener
Schauspieler-Familie, die namentlich zwar nicht benannt wird, aufgrund zahl-
reicher, sehr eindeutiger Hinweise jedoch als Anspielung auf die Wessely/Hör-
biger-Dynastie erkennbar ist :
Die Figur Käthe verkörpert dabei die Theater- und Filmschauspielerin
Paula Wessely. Istvan steht für Attila Hörbiger, Schorsch für dessen älteren
Bruder Paul. Mitzi, Mausi und Putzi sind als die drei Töchter des Schauspie-
lerehepaars erkennbar : Elisabeth Orth, Christiane und Maresa Hörbiger.
Tatsächlich sind die Parallelen der Figuren zu den Realpersonen für den Re-
zipienten unvermeidlich. Alleine die Ähnlichkeit der Namen (der gutbürger-
liche Name Käthe steht für Paula und ähnelt dem Namen einer von Wessely
verkörperten Theaterfigur, Kate, der fremdsprachige Name Istvan steht für At-
tila usw.27), die örtliche Eingrenzung auf Wien sowie die Zusammenstellung
der Familienverhältnisse (bekanntes Schauspielerehepaar mit drei Töchtern, der
Bruder des Familienvaters ist ebenfalls ein erfolgreicher Schauspieler) verweisen
auf die bekannte Schauspieler-Familie. Auch die zahlreichen Anspielungen auf
diverse Film- und Theaterrollen von Paula Wessely und den Hörbiger-Brüdern
erlauben eine (nahezu zweifelsfreie) Zuordnung. Etwaige Abweichungen von
25 Janke, Nestbeschmutzerin, S. 171.
26 Vgl. Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 44.
27 Vgl. Annuß, Theater des Nachlebens, S. 60.
112 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319