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Jelineks Dramolett auch dann noch »dramatische Brisanz und kĂŒnstlerische Ak-
tualitĂ€t haben (âŠ), wenn vielleicht niemand mehr weiĂ, wer Jörg Haider war«32.
Mit »Burg theater«, »Die Kinder der Toten« und »Das Lebewohl« wurden in
der vorliegenden Studie drei Texte analysiert, die formal sehr unterschiedlich
sind und aus unterschiedlichen Schaffensphasen der Autorin datieren. Auf diese
Weise sollte ein möglichst reprÀsentativer Querschnitt durch das Werk Elfriede
Jelineks geleistet werden.
Bemerkenswert ist, wie in der empirischen Analyse herausgearbeitet wurde,
dass alle drei Beispieltexte die Kritik am österreichischen Opfermythos in ih-
ren Mittelpunkt stellen, und zwar ĂŒber die explizite Thematisierung hinaus vor
allem implizit, auf einer intertextuellen, metasprachlichen Ebene. Die eingangs
formulierte Hypothese, die Destruktion des Opfermythos stelle eines der zent-
ralen Themen in Jelineks Werk dar, wird somit als bestÀtigt erachtet.
4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur
»Vielleicht sagt ein poetischer Satz das,
was ich nicht weiĂ.«33
In der vorliegenden Studie wurde die Entwicklung einer neuen, interdisziplinÀ-
ren Methodik zur Interpretation der literarischen Texte Elfriede Jelineks ange-
regt, die zeitgeschichtliche Parameter einschlieĂt und dabei der intertextuellen
Schreibweise der Autorin gerecht wird. Dabei wurde zur ErlÀuterung evidenter
Textisotopien ebenso selbstverstÀndlich auf Theorien der Geschichtswissen-
schaft (in erster Linie zeithistorische Faschismus-, Nationalsozialismus- und
Opfermythostheorien) zurĂŒckgegriffen, wie umgekehrt versucht wurde, jene
herangezogenen Theorien, die das 20. Jahrhundert erklÀren wollen, durch die
Interpretation dreier Beispieltexte anschaulich zu machen.
Dass eine literaturwissenschaftliche Interpretation historisches Wissen
braucht, ist eine obsolete Feststellung, denn Texte bedeuten nichts ohne ihre
Kontexte. Ein erfolgreicher Lesevorgang muss nicht zwangslÀufig von Verste-
hen begleitet sein :
»Ein Text ⊠kann ohne seine Kontexte nicht verstanden werden, selbst wenn er âșrich-
tigâč gelesen wird.«34
32 LĂŒcke, Gespenster, S. 80.
33 Waterhouse, Lobreden auf den poetischen Satz, S. 19.
34 Rossbacher, Lesen, S. 16. 291
InterdisziplinĂ€re Zusammenschauâ |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319