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65Imperium
und Nation
Diese liberale und supranationale Politik hatte aber eine negative Kehr-
seite, weil sie gleichzeitig die diskursive Basis der »Nationalitätenkonflikte«
ermöglichte. Die Basis, auf der sich das Modell der Anerkennung aufbaut,
ist das staatlich abverlangte und festgestellte Bekenntnis zu einer eindeuti-
gen »Identität«. Insofern klammert es sowohl die wechselbare Situativität der
»Identitäten« (Rogers Brubaker) als auch die nationalen Indifferenzen (Tara
Zahra) aus. Auch wenn das habsburgische Zentraleuropa kein geschlossener
Containerraum,36 sondern ein wandelndes Gefüge war, konnte die dynami-
sche, prozesshafte Fluidität, die Plurikulturalität der Gesellschaft, wegen der
multikulturellen (also einordnenden, kategorisierenden) Staatspolitik weni-
ger zum Ausdruck kommen.37 Daher wurden Schule oder Wahlregister nach
vermeintlichen ethnisch-sprachlichen Differenzen gespalten und organisiert
bzw. wurde daher in der Statistik nur nach einer Umgangssprache gefragt
(und somit alle anderen im Alltag benutzten Sprachen nicht berücksichtigt),
was die mehrsprachliche Realität komplett ausblendete. Die Anerkennung
der ethnisch-nationalen (usw.) »Identitäten« führte zu einer kommunita-
ristischen Absonderung und Begrenzung, das heißt zu einer von außen her
auferlegten »Gruppenbildung«. Die Anerkennung der »Gruppenidentitäten«
geht
– wie Kwame Anthony Appiah betont
– auch mit ihrer Essentialisierung
einher.38 Das österreichische Modell schaffte insofern nicht nur einen supra-
nationalen Rahmen ohne ethnische Homogenität und Hegemonie, sondern
auch eine Öffentlichkeit, in der – trotz der ambivalenten, fluiden, oft indif-
ferenten Realität der lokalen Ebene
– immer mehr das nationalistische Clus-
terdenken die politische Sprache und die politischen Debatten bestimmten.
Das staatlich geschaffene und nationalistisch bediente Clusterdenken
prägte auch die spätere historiographische und erinnerungspolitische Wahr-
nehmung der ganzen Habsburgermonarchie, als ob alle Menschen einer
»Nationalität« (als einer klar definierbaren und begrenzbaren Gruppe) ange-
hört hätten bzw. als ob alle Akteuren nur im Rahmen und im Interesse ihres
ethnisch-nationalen Clusters gehandelt hätten.
36 Johannes Feichtinger, Zwischen Mittel- und Zentraleuropa. Oder: Vom politisch
überformten Raum zum heuristischen Konzept, in: Jacques Lajarrige u. a. (Hg.),
»Mitteleuropa«. Geschichte eines transnationalen Diskurses im 20. Jahrhundert,
Dresden 2011, Bd. 1, S. 53–73, hier S. 66ff.
37 Zum Unterschied zwischen Multi- und Plurikulturalität siehe: Ebd., S. 68f.
38 Appiah, The Lies that Bind, S. 97.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303