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87Österreichisches
Küstenland
sich außerdem im Kontext des ebenso oft bedienten »Stadt«-»Land«-Konflik-
tes darstellen. Der geschilderte Vorfall vor der Kirche San Giacomo / Sveti
Jakob könnte so nicht nur die nationale Polarisierung des Kirchenlebens und
die Überbetonung der national-partikularen Identität zuungunsten einer
katholisch-universellen Identität beweisen, sondern auch das – in diesem
Fall wörtlich gemeinte – Vordringen slowenischer Landbevölkerung in die
»italienische« Stadt Triest.
War es aber wirklich ein Konflikt zwischen »Völkern«? Attackierten die
Gläubigen den Pfarrer als nationalen Feind, als »das nationale Andere«?
Der italienischsprachige, nationalliberale Magistrat von Triest protestierte
zwar selbst gegen die Fahnen, verboten wurden sie aber letztendlich vom
kroatischsprachigen Bischof von Triest, Andrej Marija Šterk, woraufhin die
Gläubigen mit einem slowenischsprachigen Pfarrer in einen handgreiflichen
Konflikt gerieten. Das nationale Vokabular verschleierte einerseits intraeth-
nische, andererseits innerkatholische Differenzen, die etwa zwischen der
kirchlichen Obrigkeit und den Kirchgängern bestanden.
Die in diesem Kapitel näher besprochenen Fälle aus Istrien (Kapitel 3.1)
und dem Triestiner Hinterland (Kapitel 3.2) könnten ebenso nach den gän-
gigen Erklärungsmustern beschrieben und verstanden werden: als Fälle
innerkatholischer »Nationalitätenkonflikte«, als Fälle einer vermeintlich
immer mehr national-ethnisch auseinanderdividierenden lokalen Ebene, in
der klare, geschlossene, nationale Gruppenidentitäten das tagtägliche Leben
bestimmt hätten. Es kommen Priester vor, die in ihren Kirchengemeinden
angegriffen wurden, oder Kirchengemeinden, in denen national bestimmte
Forderungen erhoben wurden. In Istrien wurden die Kirchengemeinden vor
allem entlang der Frage, welche Sprache in der Kirche zu benutzen sei, pola-
risiert. In Ricmanje, einem winzigen Dorf im Triestiner Hinterland, lösten
sich die slowenischsprachigen Gläubigen letztendlich sogar von der katho-
lischen Kirche los, weil ihnen eine eigene Pfarrei und die muttersprachliche
Liturgie verweigert wurden.
In den Kapiteln gehe ich folgendermaßen vor: Ich stelle die Konfliktfälle
anhand von primären, bis jetzt nicht oder kaum bearbeiteten Quellen-Kor-
pora dar. Die Fälle werden in einem zweiten Schritt unter anderem mit dem
Narrativ der »Nationalitätenkonflikte« konfrontiert: Inwiefern lässt sich
dieses Narrativ anhand der lokalen Beispiele belegen oder widerlegen? Die
zeitgenössische mediale Wahrnehmung solcher Kirchenkonflikte war ein-
deutig vom Narrativ der »Nationalitätenkonflikte« bestimmt, was sowohl
die innerkirchlichen als auch die sozialen Gründe verdrängte. Dieser mak-
rogeschichtliche Kontext wird daher in allen Kapiteln kritisch besprochen.
Politik. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalbewegung in Istrien,
Wien 2004, S. 144; Cetnarowicz, Narodni preporod u Istri, S. 197ff.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303