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95Konflikte
um die Nationalisierung
che wohnen sie andächtig dem Gottesdienst bei, hören mit besonderer Befriedigung
die Epistel und das Evangelium, in einigen Gegenden auch Alles, was der Geistliche
»nach uralter Sitte« in altslawischer, beziehungsweise kroatischer Sprache singt; sie
merken auf die Predigt, die Vielen, besonders den Bejahrten beinahe die einzige geis-
tige Nahrung ist.35
Die zitierte Passage zeigt indirekt die Bereiche auf, die Konfliktpotenzial
bargen. Einerseits erzeugte die starke südslawische Präsenz im lokalen Kir-
chenleben – was sich in der großen Zahl südslawischer Priester manifes-
tierte – eine Lage, die die Kirche als »südslawischen Raum« erscheinen ließ.
In Europa war überall zu beobachten, dass der Katholizismus zum Volks-
charakter bestimmter ländlicher Regionen stilisiert wurde.36 Im ethnisch-
sprachlich durchmischten Istrien konnte eine solche »räumliche« Zutei-
lung der katholischen Kirche nur auf der mental map erfolgen. Eine solche
narrative Raummarkierung ermöglichte sowohl nationalistisch motivierte
Ansprüche (seitens südslawischer Akteure) als auch nationalistisch moti-
vierte Kirchenkritik (seitens italienischsprachiger Akteure). Andererseits
verursachte die altslawische (oder sogar kroatische / slowenische) Liturgie-
sprache innerkirchliche Spannungen, die für außen-kirchliche (sogar anti-
kirchliche) Ziele instrumentalisiert werden konnten.
Die räumliche Zuteilung, die Ethnisierung des ländlichen Hinterlandes
bzw. der katholischen Kirche verschleierten die sozialen Dynamiken zwi-
schen ländlichen und urbanen Räumen, zwischen südslawischen und itali-
enischsprachigen Bevölkerungsteilen, zwischen lokalen Kirchengemeinden
und kirchlichen Obrigkeiten. Diese Dynamiken wurden in der Historio-
graphie lange einseitig nur als »nationales Erwachen« (»narodni preporod«)
der ländlichen (meist südslawischen) Bevölkerung wahrgenommen. Dabei
wurde aber nicht auf die sozialen Strukturen und Machtverhältnisse einge-
gangen, sondern es wurde die Herausbildung angeblich getrennter »nationa-
ler Identitäten« und »nationaler Räume« hervorgehoben. Eine solche Erklä-
rung verkennt die Abhängigkeiten, in denen sich die Menschen in den zu
schildernden Konfliktfällen befanden.
35 Alois Spinčić, Volksleben der Slawen in Istrien, in: Die österreichisch-ungarische
Monarchie in Wort und Bild, S. 215f.
36 Manuel Borutta, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der
europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010, S. 357.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303