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100 Österreichisches Küstenland
Vorfall wahr: »hinter der nationalen Flagge« habe der liberal gesinnte Magis-
trat eigentlich »seine feindliche Gesinnung gegen Kirche und Religion« ver-
schleiert.53
Die Vermutung liegt daher nahe, dass diejenigen, die die Kirche während
der kroatischsprachigen Predigten (nicht nur beim bischöflichen Besuch) in
Visinada / Vižinada mit Lärm verließen, eigentlich nur den Skandal suchten,
um die Autorität der Kirche zu schwächen. Ihnen ging es zuvorderst nicht
darum, in ihrer eigenen Muttersprache (das heißt im Italienischen) die Pre-
digten hören zu können – diese Möglichkeit hätten sie während der ande-
ren Gottesdienste gehabt, die nicht für die Landbevölkerung zelebriert wur-
den
–, sondern um die Störung des kirchlichen Lebens. Sie wussten, dass eine
nationalpolitische Spaltung die gesellschaftliche Position der Kirche massiv
untergräbt. Die objektive Tatsache, dass die örtliche Kirchengemeinde in
Visinada / Vižinada ethnisch-sprachlich gemischt war, stellte insofern nicht
den Konfliktgrund, sondern den Konfliktvorwand für einige Menschen dar
–
die eigentlich nationalliberal (und demnach antiklerikal) eingestellt waren
–,
um die Kirche und ihre Repräsentanten kritisieren und die kirchlichen Zere-
monien stören zu können.
Die Behauptung, dass die Kirche in Istrien »südslawisch« geprägt sei, hatte
allerdings auch objektive Gründe. Die katholische Kirche in Istrien war stark
von einem südslawischen Klerus geprägt, der die klerikalen Ziele mit dem
sozialen Aufstieg der südslawischen Bevölkerung verband.54 Nicht nur die
antiklerikalen Kreise bedienten sich also eines nationalistischen Vokabulars
und verorteten die kirchlichen Akteure – unabhängig von ihrer tatsächli-
chen nationalen Zugehörigkeit oder Muttersprache – als »kroatisch«, son-
dern viele südslawischen Priester akzeptierten die antiklerikale Tendenz, die
Kirche den »Südslawen« zuzuschreiben. Politische und soziale Gegensätze
wurden somit national markiert.
Die lange Konfliktgeschichte innerhalb – oder vielmehr: bezüglich –
der katholischen Kirche auf den Kvarner-Inseln zeigte mehrere Facetten
von solchen Frontlinien- und Diskursüberlappungen auf: Im Mikrokosmos
einer insularen Welt verdichteten sich vorhandene, persönlich motivierte,
lokal verwurzelte Konflikte, die von antiklerikalen oder nationalistischen
Ideen angestachelt werden konnten. Alois Lasciac, der zwischen 1887 und
1889 Bezirkshauptmann in Lussin / Lošinj war, beschrieb die Inselbe-
wohner als eine »in langjährigen nationalen Kämpfen gefeite, streitlustige
Bevölkerung«.55 Die innerkirchlichen Konflikte gelangten in die makropo-
53 Reichspost, 28. Oktober 1896.
54 Trogrlić, Katolička crkva u Istri, S. 95f.
55 Alois Lasciac, Erinnerungen aus meiner Beamtencarrière in Österreich in den Jah-
ren 1881–1918, Trieste 1939, S. 14.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303