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119Konflikte
um die Nationalisierung
Sogar italienischsprachige Priester konnten sich in dem Diskurs der
nationalisierten kirchenpolitischen Positionen verorten. Sie hetzten gegen
die »Italiener«, auch wenn sie eigentlich die Politik der nationalliberalen
Elite der istrianischen Städte oder des italienischen Königreiches meinten.
Anfang 1892 beschwerte sich der italienische Konsul in Triest in einem Brief
an den Bürgermeister (podestà) der westistrianischen, überwiegend italie-
nisch bewohnten143 Stadt Rovigno / Rovinj über den italienischsprachigen
Stadtpfarrer Bernardo Malusa, der in seinen italienischsprachigen Predig-
ten mehrmals »die Italiener« beleidigt habe.144 Selbst der nationalliberale
Bürgermeister musste auf die Proteste des Konsuls hin zugeben, dass Don
Malusa nicht alle Italiener, sondern die aktuelle, antipäpstliche Politik der
italienischen Regierung und die antiklerikalen Kreise der österreichischen
Küstenstadt kritisierte.145 Die Tendenz, die »Italiener« mit der lokalen, nati-
onalliberalen Elite oder dem italienischen Königreich gleichzusetzen, war
auch unter vielen italienischsprachigen Katholiken vorhanden.146
Italienischsprachige Priester konnten demnach den Antiklerikalismus,
den Hass auf die katholische Kirche, den »Italienern« zuschreiben, womit sie
zur Nationalisierung eigentlich parteipolitischer oder sozial bedingter Kon-
fliktlinien beitrugen. Als Steine im westistrianischen Verteneglio / Brtonigla
im Oktober 1907 in die Wohnung des italienischsprachigen Pfarrers Don
Pietro Vascon eingeworfen worden waren,147 bezichtigte er die »Italiener«,
hinter dem Gewaltakt gestanden zu haben. Die Ortschaft nahe der Adria-
küste war aber fast ausschließlich italienisch bewohnt: Von den 1.734 Ein-
wohnern waren nur acht slowenischsprachig, alle anderen gaben 1900 das
Italienische als ihre Umgangssprache an.148 Insofern erscheint ein solcher
Vorwurf auf den ersten Blick unverständlich. Er suggeriert, dass die »Itali-
ener« nur einen kleinen Teil der überwiegend italienischsprachigen Bevöl-
143 Von den 10.302 Stadtbewohnern waren 9.716 italienisch-, 201 deutsch- und nur
41 kroatischsprachig; Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder, S. 50.
144 Brief des italienischen Konsuls (10.
Januar 1892), in: AST, Luogotenenza, AP, b.
154,
fasc. 4.2.1., 1892/126.
145 Brief des Bürgermeisters (podestà) von Rovigno / Rovinj an die Statthalterei
(13. Januar 1892), in: Ebd.
146 Ein Teil der italienischsprachigen, katholischen Öffentlichkeit war besonders anti-
italienisch ausgeprägt, ihr Hass richtete sich nicht nur gegen den Irredentismus,
sondern an sich gegen die italienischen Einwanderer, die sie als wirtschaftliche
Belastung für den Wohlstand und als politische Gefahr für Österreich erachteten;
vgl. dazu u. a. Apollonio, La »belle époque« e il tramonto dell’ Impero asburgico,
S.
127f.; sowie Techet, Imperiale Loyalität unter den italienischsprachigen Katholi-
ken, S. 312f.
147 Bericht des Pfarrers Don Pietro Vascon (14. Oktober 1907), in: DAP, Kapetanat
Poreč, Op.Sp., kut. 115, fasc. I/1, 13544 – 07 – I/1.
148 Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und
Länder, S. 74.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303